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Baukunst in Deutschland – Kitsch as Kitsch can oder Rokoko?

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Deutschland im 17. Jahrhundert und wieder einmal verzögerte Fröhlichkeit

Die Deutschen hatten schon beim Barock einen ziemlichen Spätstart hingelegt: Erste barocke Ausprägungen tauchten um 1575 in Frankreich auf, das mehr am Rand seines Herrschaftsgebiets Schlachten schlug und im Herz des Landes Baukunst feierte.

Italien schlug sich überhaupt nur wenig, ging direkt von der Romanik zum Renaissance-Bau über und konnte auch bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts die ersten Vorboten des Barocken bewundern. Deutschland hatte wie üblich mehr mit Krieg zu tun, die Auseinandersetzungen des 30-jährigen Krieges (1618 – 1648) fanden hauptsächlich auf dem Boden des Reiches statt, mit zahlreichen “Nebenkriegen”, 1650 waren von rund 17 Millionen Einwohnern nur noch 10 Millionen übrig, viele Schlacht-Regionen brauchten lange, um sich von den Kriegsfolgen zu erholen.

Kaiser Ferdinand III. hatte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ein Jahrzehnt vor Kriegsende von seinem nicht sehr regierungsgeeigneten (kleinwüchsig, schwach, gutmütig bis gutgläubig auch gegenüber gewissenlosen Beratern, freigiebig bis zum Ende des Geldes) Vater übernommen und war in einer ziemlich angeschlagenen Position (dem Himmel sei heute noch Dank, sonst hätte es sicher keinen Westfälischen Frieden gegeben). Er guckte sich gerne etwas von dem Können und der bewundernswerten Kunstfertigkeit ab, die Frankreich und Italien inzwischen entwickelt hatten – der prächtige Barock kam gerade recht, um seine Macht zu stärken.

Asamkirche, München

Asamkirche, München
Fotografie von Poco a poco [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Schmücken mit fremden Federn klappt nicht? Doch, schon immer, der ganze Barock war nur dazu da, um die Machtvollkommenheit von Herrschern und Kirchenfürsten zu betonen; und wer heute stolz “mein Haus – mein Boot – mein Auto” vorstellt, hat auch meist weder das eine selbst gebaut noch die anderen zusammengeschraubt.

So entstanden erst mit rund einem Jahrhundert Verspätung in Deutschland viele prächtige Barockbauten, die in ihrer gesamten Raumkomposition darauf ausgerichtet waren, das Publikums durch gewaltige Höhen und viel Prunk und Pracht davon zu überzeugen, dass ihre weltlichen und kirchlichen Herrscher unvergleichbar und unvergleichlich mächtig seien.

Dieses Publikum bewunderte eine Weile pflichtschuldig, hatte dann aber irgendwann genug. Die barocke Baukunst verzückte nämlich nicht nur, sondern erinnerte den Betrachter ständig und vehement und in vielen Einzelheiten daran, dass er vergänglich sei und dass er betend bedauern müsse, wie schnell seine Zeit vorüber sein werde.

Der Innenraum von St. Johann Nepomuk (Asamkirche) in München (Sendlingerstraße)

Der Innenraum von St. Johann Nepomuk (Asamkirche) in München (Sendlingerstraße)
Fotografie von Schlaier [GFDL oder CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Bedauern konnte auch damals nützlich sein, beten war den Menschen wichtig; aber sie waren gerade dabei, sich von einem Generationen überschattenden Dauerkrieg zu erholen, und wollten einfach leben, fröhlich leben.

So wurden die Bauten im Spätbarock immer heller und immer fröhlicher verziert, ernsthafte Mahnung wich verspielter Aufforderung, dunkle Steinfluchten wurden durch strahlendes Gold und Pastellfarben ersetzt. Ein gutes Beispiel ist die Münchner Asamkirche ( St.-Johann-Nepomuk, Sendlinger Straße), von den als Maler, Architekten und Bildhauer tätigen Brüdern Asam nach neuesten französischen Trends errichtet.

Überbordende Vergänglichkeitsfurcht und Düsterkeit verbreiten hier weder die Fassade (siehe Asamkirche in München), noch die innere Ausgestaltung (siehe Innenansicht der Asamkirche), der Gnadenstuhl (siehe Fotografie) oder die von geschwungenen Bögen und rosa Marmorsäulen umrahmten Bildnisse der Erbauer (siehe Fotografie).

Barocker Gnadenstuhl im Chor der Asamkirche

Barocker Gnadenstuhl im Chor der Asamkirche
Fotografie von Rollroboter [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Baubeginn war 1733, seit 1726 herrschte in Bayern der kunstinteressierte Karl Albrecht (von Bayern), der 1716 auf Bildungsreise in Italien war, am 5. September 1725 in Frankreich an der Hochzeit König Ludwigs XV. teilnahm und 1742 die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches aufsetzte, die er bis 1745 trug.

Ein Jahr später wurde die Asamkirche geweiht, der Bau begleitet also über ein Jahrzehnt der lebensfrohen kunstgeschichtlichen Spätphase des Barocks, die als Rokoko bekannt wurde und in Deutschland ab ca. 1730 datiert wird.

Rokoko – übermütiger, übertriebener Spät-Barock oder eigener Stil?

Dieser von Frankreich importierte aus dem Spätbarock entwickelte Stil hat seinen Namen Rokoko von einem Ornamentmotiv, der Rocaille (siehe Fotografie der katholischen Pfarr- und Klosterkirche St. Alto und St. Birgitta in Altomünster), eine aus den beiden französischen Wörtern roc = Fels und coquilles = Muscheln zusammengesetzte Felsenmuschel.

Ein im Rokoko überaus beliebtes Dekorationselement, das fast leichtfertig erstmalig Asymmetrie in die Baukunst bringt und damit die festen Vorbilder des Barock frech auflöst.

Bildnis des Erbauers Cosmas Damian Asam

Bildnis des Erbauers Cosmas Damian Asam
Fotografie von Rollroboter [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Wenn auch die Baukunst monumental blieb und nicht jeder bildende Künstler mit Muscheln spielte (weswegen das Rokoko in diesen Bereichen nur bedingt als eigene Stilepoche anerkannt wird), erteilten die verspielten Formen des Rokoko dem Pathos des Barocks eine variantenreiche, entschieden entzückende Absage.

Katholische Pfarr- und Klosterkirche St. Alto und St. Birgitta in Altomünster im Landkreis Dachau (Bayern), Stuck von Jakob Rauch (1718– nach 1785), Rocaille

Katholische Pfarr- und Klosterkirche St. Alto und St. Birgitta in Altomünster im Landkreis Dachau (Bayern), Stuck von Jakob Rauch (1718– nach 1785), Rocaille
Fotografie von GFreihalter [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

“Nur” ein Dekorationsstil, aber Deko ist das, was zuerst ins Auge fällt, im Fall Rokoko mit geradezu überbordenden Verzierungen an den Bauten, wie in Schloss Peterhof (siehe Fotografie) und in den Gärten davor, wie in Schloss Schwetzingen (siehe Fotografie).

Mit durchaus neuen Ideen, eines der wichtigen Elemente des Barock, die strenge Symmetrie, wurde vergnügt über Bord geworfen, zugunsten von Ranken und Lianen, Kreiseln und Kringeln, Schwüngen und Rundungen.

Und Verzierungen in Räumen, denen in Kirchen (siehe Fotografie) und denen bei Hof, mitsamt den Möbeln und den kunsthandwerklichen Gegenständen. Hier leisteten Stuckateure, Schnitzer, Tischler, Sticker usw. usw. teils unglaubliche Feinarbeiten (auch wenn das Ergebnis heute schnell einmal etwas kitschig anmutet, de.wikipedia.org/wiki/Datei:JAMeissonnierTable.jpg). Innenarchitekten und Kunstgewerbeschaffende sehen deshalb das Rokoko ganz entschieden als eigene Epoche, die streng vom Spätbarock abzugrenzen ist.

Schloss Peterhof

Schloss Peterhof, große Kaskade
Fotografie von Alexxx1979 [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Schloß Schwetzingen

Schloß Schwetzingen
Fotografie von Erdie [GFDL oder CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

Basilika in Ottobeuren (Allgäu)

Basilika in Ottobeuren (Allgäu)
Fotografie von Allie_Caulfield [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Tafel von Juste-Aurele Meissonnier (1730)

Tafel von Juste-Aurele Meissonnier (1730)
von Juste-Aurele Meissonnier [Public domain], via Wikimedia Commons

Insgesamt verliert die Architektur durch all diese Dekorationen viel von ihrem pompösen Charakter, die Schlösser werden kleiner, Hauptgebäude werden häufig von Dienstgebäuden getrennt.

Neben überreich verzierte Repräsentationsräume treten kleinere Privaträume oder Privatschlösschen mit leichtfüssiger Architektur und ebenso eleganten wie verspielten Details (obwohl man sich aus heutiger Sicht trefflich darüber streiten kann, ob ein Privatschlösschen wie dieses wirklich seinen pompösen Charakter verloren hat:

Ferme

Hameau der Königin, Versailles
Fotografie von Urban [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

Ein Hauch von Freiheit ist zu spüren …

Mit der neuen Lust an der Dekoration litt auch die ernste Verehrung der Macht, die der höfischen Gesellschaft auch auf einmal gar nicht mehr so wichtig zu sein schien.

Die Herrschenden hatten den Pomp offensichtlich auch satt, sie wollten es einfach schön haben; und elegant, wie ein neues Modewort aus Frankreich vorgab – im Rokoko wurde das gesamte höfische Lebens ein gutes Stück “feiner” und damit (manchmal) inhaltsreicher.

Noch Ludwig XIV. von Frankreich hatte in exaltiert barocker Art sein Leben als öffentliches Ereignis zelebriert. Mit Ziel und Zweck, er wollte seine Anhänger (den Adel) willfährig am Hof halten und wunschgemäß lenken, er führte seine Gefolgschaft durch Gunstbeweise oder durch Entzug der Gunst. Also ein ganz ähnliches Modell wie es heute so mancher Facebook-Star abfeiert, der seiner Gefolgschaft Gunstbeweise oder Gunstentzug durch die Umgebung in Aussicht stellt, wenn diese (mit hormonell wirksamen, allergieauslösenden und krebsverdächtigen Inhaltsstoffen versehene) Schönheitsprodukte, (ausbeuterisch produzierte) Designerklamotten, (am Stück nur wenige Sek. betriebsbereite) Maschinen zur Produktion von Gemüsepampe und Utensilien zur Optimierung des eigenen Erscheinungsbildes (augenverstörend neonbuntes Plastik, Produktionskosten gen Null) kaufen/verwenden bzw. versäumen zu kaufen und zu verwenden.

Für solch plumpe Anbiederung und Beherrschung war man sich nun zu fein, im Rokoko zog man sich ins Private zurück, um eine kultivierte Lebensführung, ein feinsinniges Lebensgefühl, zarter Sinnlichkeit und galante Umgangsformen zu pflegen.

Zu dieser Kultur gehörten im intellektuellen Bereich auch schon die ersten Vorboten der Aufklärung, dem epochalen Projekt des herannahenden Jahrhunderts. Thomas Hobbes (1588 – 1679), John Locke (1632 – 1704), Montesquieu (1689 – 1755) und Immanuel Kant (1724 – 1804) hatten ihre entscheidenden Schriften vorgelegt, die sich langsam aber unaufhaltsam verbreiteten.

Ab etwa 1700 war das rationale Denken erlaubt, durfte man sich auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz berufen, nicht nur als Herrscher, sondern auch als Bürger – und als Baukünstler. Deshalb haben die neuen Ideen auch die Baukunst beeinflusst, die Werke der barocken Theater-Künstler wurden als Kirchen-Propaganda oder als Hilfe bei der Selbstdarstellung eines Herrscher abgelehnt, das Rokoko als Kunst der Aufklärung lehnte solche Verherrlichungen ab.

Neben Schnörkeln und Arabesken gibt es durchaus Skurriles zu entdecken, manche scheinbar vornehm verhaltene Mimik sagt bei genauem Hinschauen etwas ganz anderes, manche grotesk übertriebene Gestik kann getrost als pure Ironie gedeutet werden.

… aber Gestalt siegt vor Inhalt

Und überschreitet die Grenzen des Zumutbaren: Aufklärerische Ideen schwingen mit bei dieser neuen Lust am freier gestalteten Zierwerk, die Schnörkeln und Arabesken der Gestaltung übernehmen jedoch die Hauptrolle.

Ausschmückungen, Beiwerk, Dekor, Ornamente, Putz und Stuck, Rankenwerk, Verschnörkelung und was weiß ich noch für anderer Zierrat machen sich im Überfluss breit und begraben jeden Ansatz auf dem Weg zur Freiheit des Geistes unter sich.

Pastellfarben waren auch da, und der Stuck kroch langsam die Wand entlang, vielleicht noch ein wenig aufgelockert durch ein Spiegelscherbenkabinett mit unregelmäßig geformten Spiegelstücken an den Wänden und an der Decke.

An den Wänden sogenannter Spalierzimmer krochen artifizielle Pflanzen durch die Gegend, in Musikzimmern reihten sich üppig verzierte Porträts der am Hof wirkenden Schauspieler und Musikanten, das Schnörkel- und Rankenwerk nimmt nun genauso den Atem wie die schweren und drückenden Formen des Barock – Schwünge und Wölbungen verursachen Schwindel, wenn sie allgegenwärtig sind.

Hier ein paar der Auswüchse, die im täglichem Gebrauch/Anblick wahrscheinlich irgendwann schwer zur ertragen sind:

Wenn Sie innerlich bereits schreien, haben sie sicher recht, irgendwann wird Verfeinerung zur Plattitüde, graziös zu kitschig, vielsagend zu nichtssagend, pikant zu schal, kapriziös zu banal, witzig zu abgedroschen, kokett zu manieriert und Amüsement zur Qual.

Je mehr die Ideen der Aufklärung diskutiert wurden, desto entschiedener fühlten sich denkende Menschen fehl am Platze in Salons wie diesem:

Beispielhafter Rokoko Revival Parlor von 1855 in New York City (Metropolitan Museum of Art)

Beispielhafter Rokoko Revival Parlor von 1855 in New York City (Metropolitan Museum of Art)
Fotografie von Andrew Balet [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

So ist es nur folgerichtig, dass das Rokoko rechtzeitig vor dem großen Sturm der durch die Aufklärung verursachten Umstürze um 1770 durch den Klassizismus abgelöst wird, mit ästhetischem Leitbild einer puren Formensprache.



Weitere tolle Infos zu diesem Thema gibt es hier:
http://www.kunstplaza.de/kunststile/baukunst-in-deutschland-kitsch-oder-rokoko/

Die ersten “Literatur-Legenden” der Deutschen…

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Die ersten “Literatur-Legenden” der Deutschen – Rolandslied, Tristan und Isolde, Parzival, Nibelungenlied – fast nur Schilderungen von Gemetzeln

Die deutsche Literatur begann ihre Entwicklung mit Übersetzungen lateinischer Prosatexte wie Gesetzen und Vertragstexten und religiösen Verhaltensanweisungen, dieser Anfang auf dem Weg im Ausdruck in der deutschen Schriftsprache ist vielleicht der Grund dafür, warum wir heute noch die Meister im Verfassen bürokratischer Texte sind (wir Deutschen können uns der stolzen Zahl von 200 Steuergesetzen und fast 100.000 Steuerverordnungen rühmen, einsame Weltspitze).

Die Texte, die in diesen Anfängen entstanden, sind auf keinen Fall sonderlich inspirierend und wenig geeignet, Menschen zum Lesen zu bewegen, die diese Texte nicht lesen müssen – obwohl auch der normale, wissbegierige Bürger an der gerade neu im Entstehen begriffenen Schriftsprache teilhaben wollte.

Und so entstanden im hohen Mittelalter, etwa in seiner Mitte, also um die Mitte des 12. Jahrhunderts, die ersten im Volk als Legenden verehrten literarischen Texte der damaligen Welt, darunter einige “ewige Bestseller”, deren Erwähnung zumindest jedem Deutschlehrer mit Sinn für Tradition auch heute noch einen verräterischen Glanz in die Augen treibt.

Die aus heutiger Sicht aber wiederum zweifeln lassen. Wenn man sich die Themen der damaligen Star-Publikationen näher ansieht, ist man froh über jede zukünftige Fiktionswelten erfindende Erzählung, jede schwärmerische Novelle über den Alltag in einer modernen Metropole, jede satirische Kurzgeschichte über die Unbillen des Alltags und jeden Roman, der keine Kriegshändel zum Gegenstand hat, egal ob es sich um die langwierig erzählte Geschichte einer Familiendynastie oder um die kitschige Schilderung einer komplizierten Beziehung handelt.

Denn diese ersten, das Volk verzückenden “Romane” drehten sich hauptsächlich darum, welcher Herrscher wann und wo einen anderen Herrscher so richtig niedergemacht hat, natürlich unterstützt von Horden von testosteronsprühenden jungen Männern aus dem Volk, die in diesen Händeln in Scharen ihr Leben ließen.

Immerhin führten die damaligen Herrscher die Schlachten noch selbst und höchstpersönlich und meistens auch ganz vorne an (wenn auch nicht immer), im Gegensatz zu neuzeitlichen Kriegs-Kommandeuren und Kriegs-Treibern, die gut geschützt von ihren Kommandozentralen aus das tödliche Geschehen steuern.

Lesen Sie nachfolgend eine kurze Betrachtung der ersten bis heute verklärten, aber kriegstrunkenen literarischen Hauptwerke der Deutschen, mitsamt der wohltuenden Ausnahme:

Rolandslied - Roland stürmt den Tempel Mahomets

Roland stürmt den Tempel Mahomets. Rolandslied des Pfaffen Konrad. Übersetzung bzw. Bearbeitung der altfranzösischen Chanson de Roland (um 1100). Blatt 57v

Um 1170 entsteht das berühmte Rolandslied, die erste der so dramatischen deutschen Heldensagen, die bis vor kurzer Zeit noch für viele ein Fundament der deutschen Kultur war. Der Verfasser soll ein Mann namens Pfaffe Konrad sein, sicher ist das jedoch keinesfalls, diese Autorschaft ist nur durch eine Selbstanzeige des angeblichen Verfassers belegt, und über sein Leben weiß man überhaupt nichts.

Rolandslied des Pfaffen Konrad

Rolandslied des Pfaffen Konrad. Übersetzung bzw. Bearbeitung der altfranzösischen Chanson de Roland (um 1100). Vorderer Buchdeckel

Dieser “Heldenverehrer” beschreibt den Kampf Karls des Großen und seiner Anhänger gegen die spanischen Sarazenen. Der titelgebende, bedauernswerte Roland gehört zu diesen Anhängern, einer der ersten Sündenböcke in der Literatur, der die Missetaten seines Stiefvaters büßen muss, als das christliche Heer Karls des Großen die Muslime in Spanien angreift.

Stiefvater Genelun hat nämlich mit Muslimenkönig Marsilie einen Komplott geschmiedet, die Spanier sollten so tun, als wenn sie sich dem fremden Glauben beugen. So sollte das fränkische Reich am Ende in den Untergang gezwungen werden, Rolands Tod war mit eingeplant.

Dieser Komplott bewirkt durch Täuschung den Abzug von Karls Heer nach Aachen, nur der arme Roland bleibt als Lehnsherr in Spanien zurück. Die Spanier denken aber in Wirklichkeit überhaupt nicht daran, den fremden Glauben zu übernehmen, das haben sie nur vorgetäuscht, um Karl loszuwerden. Nun schlagen sie zurück, Roland und seine paar Gefolgsmänner haben wenig Chancen, sie sterben allesamt den Märtyrertod.

Karl wollte helfen, kommt aber zu spät, und es gibt noch mehr Völker, die sich keinen fremden Glauben aufzwingen lassen wollen, so wird Karl vom persischen König Paligan in eine weitere Schlacht verstrickt, der dem spanischen König zu Hilfe eilt. Karl und seine Mannen kämpfen, können durch göttlichen Eingriff sogar siegen, König Marsilie stirbt aus Trauer über das Leid seines Volks, seine Gattin Brechmunda lässt sich taufen und bewegt auch die restlichen Überlebenden Muslime zum Übertritt zum Christentum.

Rolands Frau Alda fällt tot um, als sie vom Tod ihres Mannes erfährt, Genelun wird der Prozess gemacht und anschließend gevierteilt, seine Anhänger werden enthauptet.

Der erste Krimi, könnte man sagen, und aufgeklärte Literatur-Liebhaber von heute können auch gleich einmal kräftig erschaudern bei dem Gedanken daran, dass auch fast 900 Jahre später Konflikte zwischen Muslimen und Christen das Drehbuch eines “Tatorts” hergeben können.

Der nächste “Stoff, aus dem Legenden sind”, war nicht besser.

Um 1200 griff Gottfried von Straßburg, wahrscheinlich ein intellektueller Kleriker mit universitärer Ausbildung, einen damals äußerst beliebten Stoff auf:

Die Sage um Tristan und Isolde, die wirklich fast alles bietet, was eine fesselnde Erzählung enthalten kann. Tristan wächst als Waise auf, was wohl damals noch mehr als heute eine abenteuerliche Jugend verspricht, die sich zum Spannungsaufbau vortrefflich schildern lässt.

Endlich erreicht er den Hof seines Onkels König Marke von Cornwall, wo er diesen erst einmal im Zweikampf retten darf. Leider wird er dabei mit einem vergifteten Schwert verletzt und muss nach Irland zur Königin Isolde reisen, die das Schwert vergiftet hat und alleine in der Lage ist, die Wunde zu heilen.

Bühnenbild zu Richard Wagners Tristan und Isolde

3. Aufzug der Uraufführung von Richard Wagners “Tristan und Isolde” am 10. Juni 1865 in München. Bühnenmodell von Angelo Quaglio.

Ihr stellt sich Tristan als Spielmann Tantris vor (im Zweikampf hat er nämlich ihren Bruder Morold getötet), wird geheilt und muss als Gegenleistung Isoldes Tochter Isolde erziehen.

Kaum in Cornwall zurück, darf Tristan wieder los nach Irland, denn Marke will heiraten und Tristan hat natürlich seinen Zögling Isolde empfohlen, er wird als Brautwerber losgeschickt. Brautwerben allein reicht nicht, Tristan muss als Preisgeld für Isolde einen Drachen erlegen und darf Isolde als Braut für König Marke mitnehmen.

Mutter Isolde gibt auch noch einen Minnetrank mit, damit die Tochter dem nach Hörensagen mit Pferdeohren ausgestatteten König in unauflöslicher Liebe verfällt, den trinken aber Tristan und Isolde aus Versehen – die unwandelbare Liebe erwischt die Falschen, die sich schon auf der Überfahrt heftig in der Praxis dieser Liebe üben.

Isolde geht also nicht mehr als Jungfrau in die Ehe, um das zu vertuschen, wird dem König in der Hochzeitsnacht eine unberührte Hofdame ins Bett gelegt, der merkt natürlich nichts und wird eine Zeitlang von Tristan und Isolde meisterhaft betrogen.

Irgendwann gibt es Gerüchte, König Marke fängt an zu zweifeln und entlarvt schließlich die Liebenden. Tristan wird in die Normandie verbannt, lernt dort die nächste Isolde kennen, die sich auch gleich in ihn verliebt. Tristan, der durch den Namen an seine Liebe erinnert wird, gerät in einen Gefühlskonflikt … Gottfried von Straßburg soll gestorben sein, als er hier angelangt war, einer Erzählung ein offenes Ende zu lassen, war auch bei Star-Schriftstellern der damaligen Zeit noch nicht en vogue.

Insgesamt ein abenteuerliches Sammelsurium von Kindesvernachlässigung, Hochstapelei, Zügellosigkeit und Betrug, und eigentlich völlig unklar, warum irgend ein Mensch diesen Stoff lesen sollte.

Es folgt eine angenehme Ausnahme

Der Gedanken der Aufklärung vorwegnehmende “Parzival” vom “liebsten Minnesänger der Deutschen” Wolfram von Eschenbach ist literarisch absolut herausragend für das erste Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts: 25.000 Paarreime in (heute) 16 Büchern, Doppelromanstruktur mit kunstvoll verzahnten Handlungssträngen, und inhaltlich von einer meisterhaften Phantasie durchdrungen.

Aber nicht nur, der “Parzival” ist kein leichter Stoff, der zunächst alle vordergründig interessanten Probleme der damaligen literarischen Epoche angehet, Minne-Problematik, Forderungen nach Aventiure (Abenteuer), die Frage, ob ein Mensch zum Herrscher geeignet ist, durch religiöse Überzeugung verursachter Zwang zu bestimmten Handlungen – alles in einem Rahmen präsentiert, der es an teils wirklich phantastischen Verwicklungen nicht im Mindesten fehlen lässt.

Wolfram von Eschenbach, Parzival, Beginn Prolog

Wolfram von Eschenbach, Parzival, Beginn Prolog. Aus: Wolfram von Eschenbach, Parzival (Handschrift), Hagenau, Werkstatt Diebold Lauber, um 1443-1446, Cod. Pal. germ. 339, I. Buch, Blatt 6r.

Von Wolframs literarischem Gegner Gottfried von Straßburg wird der Versromanen so auch gleich einmal polemisch abwertend als “wilde maere” (wildes Märchen) betitelt, offensichtlich gingen literarische Konkurrenten schon damals nicht unbedingt fein miteinander um.

Aber der Parzival geht viel weiter, er ist auch kritisch ironisierend, er spitzt viele Probleme für seine Zeit ganz neuartig zu, wagt neue Gedanken und ist manchmal frech bis zynisch – das ist schon ein außergewöhnliches Stück deutscher Literatur.

So beginnt Wolfram den Parzival gleich einmal mit einem Bekenntnis gegen engstirnige Intoleranz: Im Elsterngleichnis verwendet er das zweifarbige Federkleid der Elster als Analogie, um Wankelmut und treue Ergebenheit gegenüberzustellen und kommt – für damalige Verhältnisse hochgradig abgeklärt – zu dem Schluss, dass es nicht nur schwarz und weiß und gut und böse gäbe, sondern diese Werte wie das Gefieder einer Elster ineinander übergingen und je nach Einzelfall abgewogen werden müssten.

Wer alle im Parzival behandelten Themen genauer betrachtet, sieht eine Vielfalt von grundlegenden Konflikten behandelt: Leben in der Gesellschaft im Gegensatz zu gelehrter Zurückgezogenheit, wie unterschiedlich Männer und Frauen die Welt erleben, die Konflikte zwischen der höfischen Gesellschaft und der spirituellen Gemeinschaft der Gralshüter, es geht um Schuld und Sexualität, Erlösung und Heilung. Wer genau hinsieht und nachdenkt, findet all diese Probleme in der Welt von heute wieder …

Parzival ist der Held, weil er es schafft, sich von absoluter Selbstbezogenheit hin zu Empathiefähigkeit zu entwickeln, ein solcher Held ist für Wolfram von Eschenbach die eigentliche Erlösergestalt. Die ganze Figur des als Unwissenden startenden Parzivals unterscheidet sich wohltuend von den hirnbeengten, aber nicht kritisierbaren Schlag-drauf-Helden der Zeit, und dem durchaus fehlbaren Parzival wird von Wolfram (vermutlich mit spöttischem Lächeln) ganz bewusst ein nahezu vollkommener Streber an die Seite gestellt.

Parzival erlebt viel während seiner Erziehung zum Ritter und seiner Suche nach dem Gral, etliche Abenteuer und persönliche Konflikte, und er lädt immer wieder Schuld auf sich, manchmal aus Unwissen und manchmal, weil er nicht genau genug hinsieht. Der ebenfalls zur Ritterfahrt (Kreuzzug, Gralssuche) angetretene Gawan ist der untadelige Streber unter den Rittern, der seine Abenteuer immer erfolgreich besteht und nebenbei noch schnell die Schuldigen an Missständen in der Weltordnung zur Raison bringt.

Trotzdem ist es der suchende und irrende Parzival, der am Schluss die Gralsherrschaft erlangt, Wolfram gibt dem Leser hier eine Hoffnung auf den Weg, die eine Vielzahl von Schriftstellern uns heute immer noch mitgibt.

Ein anderer unserer “ewigen Bestseller” ist weniger humanitär und feinsinnig, obwohl er zur gleichen Zeit zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstand:

Das Nibelungenlied

Diese Erzählung (Lied wurde dem mittelhochdeutschen „liet“ entnommen, das aber eher als “Strophenwerk” oder “Epos” zu übersetzen ist) geht im Kern in ihren Ursprüngen bis auf die Völkerwanderung zurück, ein sogenanntes “heroisches Zeitalter” unserer Geschichte, in dem die Vorfahren besonders “viel auf die Fresse” bekamen und deshalb besonders viel Heroen (Helden) brauchten.

August Zeune: Das Nibelungenlied, ins Neudeutsche übertragen, Berlin: Maurer 1814 - Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Gym 130

August Zeune: Das Nibelungenlied, ins Neudeutsche übertragen, Berlin: Maurer 1814 – Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Gym 130

Seite aus dem Nibelungenlied (1330)

Seite aus dem Nibelungenlied (1330)

Als entscheidender historischer Kern der Nibelungensage wird ein Gemetzel ums Burgunderreich im Jahr 436 angesehen, gegen die weströmische Armee unter Aetius, die Tausende Hunnen anheuerte und den arglosen Burgunden-Führer Gunthahar mitsamt dem größten Teil seines Volkes abschlachtete.

Noch viele weitere für die Germanen epochale historische Ereignisse steuerten Namen und Elemente bei, wie die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (451, läutete den Untergang des Weströmischen Reiches ein), der Tod Attilas (453, eigentlich weniger schlimm, weil in der Hochzeitsnacht) und der Tod Brunichildis (613, die Gegner der Frankenkönigin ließen sie durch ein Pferd zu Tode schleifen) und wurden im späteren Werk immer bunter gemischt.

Dieses Heldenepos wurde bisher mündlich weitergetragen, die damals alleine der Schriftsprache mächtigen Römer hatten naturgemäß nicht ganz so viel Interesse daran, Heldentaten der Germanen aufzuschreiben. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wird das Nibelungenlied nun endlich in der deutschen Schriftsprache aufgeschrieben, die blutrünstige Story wurde begeistert aufgenommen und erlangte im 19. Jahrhundert den Status eines Nationalepos der Deutschen.

Die Folgen dieses hauptsächlich in Heldenverehrungs-Epen bestehenden Anfangs der deutschen Literatur sind heute noch zu spüren, und sie machen uns heute immer mehr Kopfzerbrechen.

So ist das Rolandslied immer noch Unterrichtsgegenstand in den Schulen, inzwischen aber als Teil des Ethik-Unterrichts, in dem es als negatives Beispiel für den Aufbau eines Feindbildes zwischen Islam und Christentum seit dem Mittelalter herhält.

Auch im germanistischen Studium ist das Rolandslied noch ein Gegenstand, der allerdings unter Titeln wie “Die Satanisierung des Fremden im “Rolandslied” des Pfaffen Konrad” (Yvonne Holländer, 2002) behandelt wird – es gibt wohl doch noch Hoffnung …?



Weitere tolle Infos zu diesem Thema gibt es hier:
http://www.kunstplaza.de/kunstgeschichte/die-ersten-literatur-legenden-der-deutschen/

Marcel Duchamp: Ready to make Art

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Marcel Duchamp war in eine kunstbegeisterte Familie hineingeboren worden, die ihn sicher schon in frühster Jugend mit allen möglichen Ausdrucksformen der Kunst vertraut gemacht hat. Er hat mit 15 Jahren begonnen zu malen und zu zeichnen, in den nächsten 10 Jahren hat er die verschiedensten Darstellungstechniken gelernt, vom Kunstdruck bis zur Karikatur, seine Gemälde sind von Impressionismus bis zum Kubismus gewandert, er ist gereist und hat alte Meister wie Lucas Cranach studiert.

Man Ray - Portrait von Marcel Duchamp (1920-21), Yale University Art Gallery

Man Ray – Portrait von Marcel Duchamp (1920-21), Yale University Art Gallery

Mit 25 Jahren war Duchamp auf der Luftfahrtschau Paris 1912 zum ersten Mal der vollen Wucht moderner Erfindungen ausgesetzt, und diese Wucht veränderte den Künstler und sein Schaffen, sofort: Duchamp gab die Malerei (eine Zeit lang) vollkommen auf und schuf anstatt dessen etwas, was sich der perfekten Form annäherte, die die moderne Industrie seiner Zeit herzustellen in der Lage war.

Sein erstes Ready-made (erst später so bezeichnet, als Kunstwerk aus vorgefundenen Alltagsgegenständen, an dem der Künstler kaum oder keine Bearbeitungen vornimmt, er findet und präsentiert sein Kunstwerk lediglich) war schon 1913 das “Roue de bicyclette”, das Fahrrad-Rad auf dem weiß gestrichenen Hocker. Duchamp mochte dieses noch nicht sehr an die Ebenmäßigkeit industrieller Fertigung heranreichende Werk, es war für ihn “ein Objekt persönlicher Erbauung”, allerdings äußerte er 1960 in einem Interview einschränkend:

“The Bicycle Wheel is my first Readymade, so much so that at first it wasn’t even called a Readymade. It still had little to do with the idea of the Readymade. Rather it had more to do with the idea of chance. In a way, it was simply letting things go by themselves and having a sort of created atmosphere in a studio, an apartment where you live. Probably, to help your ideas come out of your head. To set the wheel turning was very soothing, very comforting, a sort of opening of avenues on other things than material life of every day. I liked the idea of having a bicycle wheel in my studio. I enjoyed looking at it, just as I enjoyed looking at the flames dancing in a fireplace. It was like having a fireplace in my studio, the movement of the wheel reminded me of the movement of flames”

(Das Fahrrad-Rad war mein erstes Ready-made, so sehr das erste, dass es erst einmal überhaupt nicht Ready-made genannt wurde. Es hat auch gar nicht viel zu tun mit der Idee der Ready-mades. Es hat eher mehr zu tun mit der Idee einer Chance. Es ließ die Dinge einfach laufen, wie sie liefen und es kreierte Atmosphäre in einem Atelier, in einer Wohnung, in der du lebst. Vielleicht, um den Ideen zu helfen, auf dem Kopf zu kommen. Das Rad zu drehen, war sehr beruhigend, sehr wohltuend, eine Öffnung zu anderen Gedanken als die an das alltägliche Leben. Ich mochte die Idee, ein Fahrrad-Rad in meinem Atelier zu haben. Ich erfreute mich daran, es anzusehen, wie man sich daran erfreut, die Flammen im Kamin tanzen zu sehen. Es war, als wenn ich einen Kamin im Atelier hätte, die Bewegung des Rads erinnerten mich an die Bewegungen von Flammen.)

Frei übersetztes Zitat aus web.archive.org/web/20050117211122/http://arthist.binghamton.edu/duchamp/Bicycle%20Wheel.html.

Marcel Duchamps Fahrrad-Rad (Roue de Bicyclette, Bicycle Wheel) steht heute im Museum of Modern Art New York City. Das Kunstwerk ist Teil der The Sidney and Harriet Janis Collection, in Originalgröße von 129,5 × 63,5 × 41,9 cm, aber als 1951 angefertigte Replik, weil das Original verschollen ist, siehe www.moma.org/collection/works/81631.

Die Freunde, die Duchamp auf der Luftfahrtschau begleitet hatten, waren ebenfalls bis in die Grundfesten ihres Schaffens erschüttert:

Constantin Brâncuşis polierte Skulpturen näherten sich ebenfalls der Industrieform, wie “Mademoiselle Pogany I” aus weißem Marmor, xroads.virginia.edu/~Museum/Armory/galleryH/brancusi.619.html, oder noch mehr “Le Nouveau-Né I”, www.onesttousdesartistes.tv/getImage.php?image=capsules/couture/brancusi.jpg.

Fernand Léger beschäftigte sich erst einmal mit der Theorie, er wollte ergründen, wie die Kunst in die Lage versetzt werden könne, die Schönheit der Maschinen zu erreichen. Bevor er das herausgefunden hatte, lernte er im Ersten Weltkrieg die Maschinen von einer weniger schönen Seite kennen, kam beinahe um, begann aber 1917 unbeirrt seine „période mécanique“ (mechanische Periode), aus der 1924 z. B der legendäre surrealistisch-dadaistische Film “Le ballet mécanique” (Das mechanische Ballett) hervorging.

Dann war fast schon wieder Zweiter Weltkrieg, diesmal verbrachte Léger die Kriegszeit in den USA, und nach dem Krieg hatte er mit Maschinen nur noch bedingt etwas am Hut, seine Kunst sah danach eher so aus: “La grande fleur qui marche”, 1952:

Kunstwerk "La Grande Fleur qui Marche" (1952) van Fernand Léger

Kunstwerk “La Grande Fleur qui Marche” (1952) van Fernand Léger

Zurück zu Duchamp: Wenn schon Neuorientierung, dann richtig, dachte der wohl und ging nach seinem Abschied von der “retinalen Malerei” daran, literarischen Quellen für seine Kunst heranzuziehen. Er hielt es nun für besser, von Literatur beeinflusst zu werden als von anderen Malern.

Raymond Roussels Theaterstück “Eindrücke aus Afrika” soll die grundlegenden Ideen für das Glas “Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar” entzündet haben, die Linguistik Jean-Pierre Brissets (wie Roussels Werk von Duchamp als “Phantasiedelirium” bezeichnet) soll weiteren bedeutsamen Einfluss ausgeübt haben.

Nach dem Bruch mit den Mächtigen der Puteaux-Gruppe hatte Duchamp vielleicht überhaupt erst einmal ein wenig ruhige Atmosphäre und gute Literatur nötig, im Frühjahr 1913 belegte er auf jeden Fall einen Kurs in Bibliothekswissenschaften und nahm nach erfolgreicher Prüfung eine Stelle als Bibliotheksassistent an der Pariser Bibliothek Sainte-Geneviève an.

Die Armory Show – der Ruhm kommt, mit viel Getöse

Duchamp hatte nichts gegen Ruhm, suchte ihn aber auch nicht verzweifelt, gute Ausgangsbasis, damit der Ruhm sich selbst aufdrängt:

Während Duchamp einen Ozean weit entfernt die Ruhe der altehrwürdigen Pariser Bibliothek genoss – hier der Leseraum – sollte eine Ausstellung in den USA sein Leben verändern:

Leseraum der Bibliothèque Sainte-Geneviève, Paris

Leseraum der Bibliothèque Sainte-Geneviève, Paris
von Marie-Lan Nguyen [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Die amerikanischen Künstler Arthur B. Davies und Walt Kuhn hatten Ende 1912 Paris besucht, um in Ateliers, Galerien und Privatsammlungen nach moderner Kunst für die Armory Show in New York (International Exhibition of Modern Art, 17. Februar bis 15. März 1913, eine Ausstellung mit so großem Einfluss auf die Entwicklung der amerikanischen Kunst, dass ihretwegen oft das Jahr 1913 als Beginn der Moderne in Amerika angegeben wird) zu suchen.

Der amerikanische Maler Walter Pach, der seit 1907 in Paris lebte, vermittelte Kontakte, Davies und Kuhn wählten mehrere Werke der Duchamp-Brüder für die Ausstellung aus, darunter vier Bilder von Marcel.

Der hatte das vielleicht schon längst vergessen, als “Nude Descending a Staircase (No. 2)” 1913 in New York auf der Armory Show gezeigt wurde – und so heftige Diskussionen auslöste, dass der Künstler auf einen Schlag zur berühmten Persönlichkeit aufstieg. Alle vier von Duchamp ausgestellten Werke wurden verkauft, allerdings nicht unbedingt zu erquicklichen Preisen, der “Akt, eine Treppe herabsteigend”, brachte ganze 342 Dollar.

Aber immerhin fand Duchamp aus dem ruhigen Lesesaal der Bibliothek wieder zur Kunst, dem oben beschriebenen Fahrradreifen folgten weitere Ready-mades wie “Flaschentrockner” (1914, www.cloud-cuckoo.net/openarchive/wolke/deu/Themen/961/kerber/Duchamp.gif) und “Fontäne” (1917, de.wikipedia.org/wiki/Fountain_%28Duchamp%29#/media/File:Fontaine-Duchamp.jpg), er zog 1915 nach New York und wurde dort von den Medien entdeckt, die Interviewer sollen überrascht gewesen sein, wie liebenswürdig das “Schreckgespenst der Armory Show” im wirklichen Leben war.

In New York traf Duchamp manchen Freund wieder, Francis Picabia und Jean Crotti (und Albert Gleizes), diese Künstler waren schon durch den Ersten Weltkrieg veranlasst nach Amerika ausgewandert.

1916 gründete Duchamp mit anderen Künstlern die “Society of Independent Artists”, 1917 gab er mit Henri-Pierre Roché und Beatrice Wood eine frühe Dada-Publikation (The Blind Man) heraus, 1918 malte er sein letztes Ölbild (“Tu m’”, allgemein als “Tu m’emmerdes”, “Du gehst mir auf den Nerv”, interpretiert) und reiste im Sommer nach Buenos Aires ab, wo er bis Juni 1919 intensiv Schach spielte, Schachspieler zeichnete und am “Großen Glas” arbeitete.

Das wurde aber erst 1923 fertig, siehe oben bei “Alte Perfektion und neue Perfektion und künstlerischer Schock”, 1919 zurück in Paris arbeitete Duchamp zunächst an dem Ready-made L.H.O.O.Q., einer Verfremdung der Mona Lisa:

Marcel Duchamp - Mona Lisa LHOOQ

Marcel Duchamp – Mona Lisa LHOOQ

Weitere Ready-mades folgten, teils unter dem Pseudonym Rose Sélavy (später Rrose Sélavy = “Eros, c’est la vie”, “Eros, das ist das Leben”), z. B. das Ready-made “Why not Sneeze, Rose Sélavy?” (Warum nicht niesen, Rose Sélavy?), 152 marmorne Zuckerwürfel in einem Vogelkäfig.

1920 gründete Duchamp mit Katherine Sophie Dreier und Man Ray die Künstlerorganisation “Société Anonyme Inc.”, die von 1920 bis 1939 84 Ausstellungen veranstalteten sollte (die wichtigste war die “International Exhibition of Modern Art” von 1926 im Brooklyn Museum of Art).

Ein halbes Jahrhundert Fantasie-Kunst für die Welt

1923 ging Duchamp eine Beziehung mit Mary Reynolds ein, die trotz einer zwischengeschobenen Ehe (Juni bis November 1927, Lydie Sarazin-Levassor, von finanziellen Gründen wurde gemunkelt) bis zu Reynolds Tod 1950 hielt.

Nach ein paar eher der Liebe (1923 bis 1927) und eher dem Schach (1928 bis 1933, Teilnahme an fünf Schacholympiaden, theoretische Publikationen über Schach) gewidmeten Jahren stellte Duchamp 1936 in der Ausstellung “Phantastic Art, Dada, Surrealism”, Museum of Modern Art New York aus, entwarf Dekoration für André Bretons surrealistische Galerie “Gradiva” in Paris, organisierte 1938 mit Breton, Paul Éluard und Wolfgang Paalen die “Exposition Internationale du Surréalisme” in der Galerie Beaux-Arts Paris, mit 1.200 an der Decke hängenden Kohlensäcken als Dekoration des Hauptraumes.

Duchamp beriet Peggy Guggenheim bei der Eröffnung ihrer Galerie in London, Januar 1938 mit einer Jean-Cocteau-Ausstellung, erlebte die erste Kriegszeit in Paris und emigrierte 1942 nach New York, wo er mit André Breton die Ausstellung “First Papers of Surrealism” (14. Oktober bis 7. November 1942, u. a. mit wie Max Ernst, Alexander Calder und David Hare) organisierte.

Ebenfalls 1942 gründete er das surrealistische Magazin VVV mit, 1945 entwarf er die Einbände für eine ihm gewidmete Sondernummer der Zeitschrift View und für einen Ausstellungskatalog Man-Rays, 1946 wurde er Mitglied der Jury des “Bel Ami Kunstwettbewerbes”, 1952 wurde Duchamp ins “Collège de ’Pataphysique” aufgenommen, das kurz vorher in Paris gegründet wurde (zu Ehren des französischen Schriftstellers Alfred Jarry).

1946 begann Duchamp mit einem Raumobjekt, das er erst 1966 beendete, sein letztes Werk, erdacht in zwanzigjähriger Arbeit: “Etant donnés: 1° la chute d’eau / 2° le gaz d’éclairage”, upload.wikimedia.org/wikipedia/en/2/25/Etant_donnes.jpg, eine Art Diorama aus vielen unterschiedlichen Materialien und mit ebenso vielen unterschiedlichen künstlerischen Aussagen, berührend und faszinierend.

1954 heiratete Duchamp erneut, die Exfrau von Henri Matisse Sohn Pierre (Alexina “Teeny” Duchamp), 1955 nahm er die amerikanische Staatsbürgerschaft an, 1963 fand im Pasadena Art Museum die erste Duchamp-Retrospektive statt.

1964 nahm Duchamp an der documenta III in Kassel teil (postum war er auch auf der documenta 5 1972 und der documenta 6 1977), 1965 stellte er in der Kestner-Gesellschaft in Hannover aus, 1967 half er dabei, die Ausstellung “Les Duchamps: Jacques Villon, Raymond Duchamp-Villon, Marcel Duchamp, Suzanne Duchamp” im Musée des Beaux-Arts in Rouen zu organisieren, am 2. Oktober 1968 verstarb Duchamp nach einem fröhlichen Abend mit Frau und Freunden überraschend in der Nacht, seine selbst entworfene Grabinschrift lautet: “D’ailleurs c’est toujours les autres qui meurent” (Im übrigen sind es immer die anderen, die sterben).

Freies Denken und Fantasie, Humor und Ironie …

Marcel Duchamp hat Impressionismus und Dadaismus und Surrealismus gelebt und die Konzeptkunst mit erdacht, er hat als Maler, Bildhauer, Schriftsteller, Filmemacher und noch einiges mehr gearbeitet, er hat sich gründlichst mit der Kunst auseinandergesetzt.

Er hat seine Betrachter herausgefordert und erschreckt, amüsiert und verspottet, zum Nachdenken gebracht und tatsächlich zu ganz neuen Sichtweisen verführt – bloß eines hat er nie getan, er hat den Kunstbetrachter nie “in Ruhe” gelassen.

Duchamp hat die traditionelle Malerei abgestuft, sie beeinflusse lediglich die Netzhaut, sei “olfaktorische Masturbation” (wohl ohne nähere Ausführung, wie er auf Geruchsfetischismus kam, aber es wird sicherlich lange und ausführliche Publikationen dazu geben).

Die Malerei sei veraltet, Energieverschwendung, unpraktisch, jetzt seien Photographie und Kino an der Reihe, die so viele andere Wege böten, um das Leben auszudrücken. Mit den Ready-made befreite er die (auch, aber nicht nur von ihm geschaffene) Kunst der Zukunft von Bindungen an Material und Kunsthandwerk, das war tatsächlich die Geburt der Konzeptkunst, in der allein die Idee für das Kunstwerk entscheidend ist.

Marcel Duchamp hat aber auch bissige Ironie und ungehemmten Humor in die Kunst gebracht, der Werktitel “L.H.O.O.Q.” (die Mona Lisa) kann französisch “elle a chaud au cul” (sie hat einen heißen Arsch) gelesen werden, der Schnurrbart an der “meist verehrtesten Frau der Welt” soll darauf anspielen, dass Leonardo da Vinci selbst eher schöne junge Männer als schöne junge Frauen verehrt haben soll.

Das Pissoir namens “Fountain”, unter Pseudonym bei der Jahresausstellung der “Society of Independent Artists” eingereicht und von Duchamp selbst als Teil der Jury heftig diskutiert und schließlich zurückgewiesen, stellte sämtliche bisherigen Kunstbegriffe und auch gleich den Kunstbeurteilungsbetrieb ironisch in Frage.

All diese neuen Ideen sorgten für mehrere große Medienereignisse der Kunst, der Kunstrevolutionär Duchamp sorgte für eine grundlegend neue Diskussion des Kunstbegriffs, deren Ergebnisse bis heute zu spüren sind:

… wirken auf andere und wirken nach, viel und lange

Duchamp war an Dada-Filmen beteiligt, z. B. an Hans Richters “Dreams That Money Can Buy” (Träume zu verkaufen) von 1947, in dem Richter Entwürfe von Duchamp, Max Ernst und Man Ray zur Musik von John Cage umsetzte. Er wirkte in den “8 × 8: A Chess Sonata in 8 Movements” von 1956/57 mit, einem Film über das Schachspiel, an dem weiter Jean Cocteau, Paul Bowles, Alexander Calder und Jacqueline Matisse beteiligt waren. Er war an Richters letztem Werk “Dadascope” von 1961, einem Film mit Gedichten und Prosa, zusammen mit Hans Arp, Raoul Hausmann und Richard Huelsenbeck beteiligt.

1964 führt Joseph Beuys in einer Live-Sendung die Aktion “Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet” (www.rundschau-online.de/image/view/2009/4/8/15499638,10997108,dmData,KRkubeuys+%25281240919642984%2529.jpg) aus. Die Aktion kritisierte Duchamps Kunstbegriff und befeuerte die Debatte über “Neo-Dada” und “Duchamp-Tradition”, Beuys’ “Stuhl mit Fett” wird auch als “Duchamp’sches Ready-made” gesehen.

1965 beginnt der britische Pop-Art Künstler Richard Hamilton mit der Rekonstruktion von Marcel Duchamps Le Grand Verre, die “Typo/Topography of Marcel Duchamp’s Large Glass” wird erst 2003 fertig: www.tate.org.uk/art/artworks/hamilton-typotopography-of-marcel-duchamps-large-glass-p78916.

Fontaine Replik von Marcel Duchamp. Musee Maillol, Paris (Frankreich)

Fontaine Replik von Marcel Duchamp. Musee Maillol, Paris (Frankreich)
von Micha L. Rieser [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

1966 dreht Andy Warhol einen Film über ihn, “Screen Test for Marcel Duchamp” (Leinwandtest für Marcel Duchamp), 1968 führt Merce Cunningham mit seiner Dance Company das Stück Walkaround Time mit einem von Jasper Johns nach Motiven des Großen Glases gestalteten Bühnenbild auf.

Die walisische Objektkünstlerin Bethan Huws bezieht sich in den “Objekt-Vitrinen” auf Marcel Duchamp; und auch Aktionen wie die Verhüllung des Reichstages durch Christo & Jeanne-Claude gehen auf Duchamp Ideen zurück, indem etwas alltäglich Vertrautes durch Verhüllen wieder wirklich sichtbar gemacht wird.

Noch viele andere Künstler wurden von Ideen Duchamps inspiriert, von Jasper Johns und Robert Rauschenberg bis zum 1970 geborenen Saâdane Afif, der im “Fountain Archive” aktuell rund 300 Bilder des Urinals von Marcel Duchamp versammelt hat, Duchamp gilt heute als “Mitbegründer der modernen Kunst”.

Es gibt ein Duchamp-Forschungszentrum (2009 im Staatlichen Museum Schwerin gegründet) und ein Duchamp-Forschungsstipendium und einen Prix Marcel Duchamp, eine mit 35.000 Euro dotierte Auszeichnung, die seit dem Jahr 2000 von der Association pour la Diffusion Internationale de l’Art Française an in Frankreich lebende Künstler verliehen wird.

2004 wählten 500 Kunstexperten Duchamps Ready-made “Fountain” zum “most influential modern art work of all time” (einflusstreichstes modernes Kunstwerk aller Zeiten).



Weitere tolle Infos zu diesem Thema gibt es hier:
http://www.kunstplaza.de/kuenstler/marcel-duchamp-ready-to-make-art/

Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe – Szene 1

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Picassos Leben und seine Lieben – besonders in Bezug auf Picassos Verhältnis mit und zu Frauen ein endloses Thema, zu dem sich ernsthafte Kunstwissenschaftler und aufgeregte Feministinnen, empörte Kleinbürger und fantasiereiche Kochbuchautoren, verwirrte Sozialwissenschaftler und neidische Boulevardjournalisten aus wohl jedem denkbaren Blickwinkel erschöpfend geäußert haben.

Des Künstlers Lifestyle und seine Beziehungen zu Frauen wurden also bereits gründlich genug seziert, und so wichtig ist es wohl nicht, wer mit wem warum und wann welches Bettchen teilt. Dennoch kommt eine Gesamtbetrachtung Picassos nicht ganz darum herum, einen Blick auf seinen Lifestyle und seine Liebe(n) zu werfen – beide sind Puzzleteile der “Person Picassos”, beide haben auch seine Kunst beeinflusst. Deshalb folgt eine Skizze in 7 Szenen über die private Seite des Künstlers – ein intensiv gelebtes Leben.

Szene 1: Ungewöhnlicher Lifestyle – immer ein gefundenes Fressen für einen Teil der Medien

Nicht nur It-Girls sind da, wo die Luft brennt

Sondern auch viele Künstler, und das wirklich nicht erst in unseren Jahrhundert. Pünktlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im Jahr 1900, besuchte Picasso das erste Mal die Stadt, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs sein häufigster Aufenthaltsort werden sollte: Er reiste mit seinem Freund Casagemas zur Weltausstellung nach Paris und fand dort, wie schon in den von ihm bis dahin bewohnten Städten Barcelona und Madrid, sofort den Teil der Stadt, in dem das Leben so richtig tobte und sich die Künstler der Avantgarde trafen.

Die “Exposition Universelle de 1900”, das globale Medien-Event der Zeit, lockte damals sagenhafte 48 Millionen Besucher nach Paris. Möglichst viele dieser Besucher drängten sich im Zentrum links und rechts von der Seine in die teils neu erbauten Hotels, ein großer Teil fand irgendwo auf dem Weg nach dem südöstlich von Paris gelegenem zweiten Ausstellungsgelände im Städtchen Vincenne sein Quartier. Picasso dagegen fand zielsicher in den berüchtigten nördlichen Randbezirk von Paris, den Montmartre, Geburtsstätte der Pariser Kommune und Wohnort der Pariser Künstler im 19. Jahrhundert; er wird mit Casagemas eine Zeit lang ein Atelier dort teilen.

Art-o-Gramm: Picasso - Der Künstler, das Leben und die Liebe (Szene 1)

Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe (Szene 1)

Dieser Auftritt des 19-jährigen Picasso in Paris zeigt etwas, was sich in Picassos Leben fortdauernd wiederholen sollte: Picasso findet, wo er sich auch hinbegibt, überall und immer schnell den urbanen “Hot-Spot”, in dem die jeweilige kulturelle Umwälzung stattfindet – er ist immer “mitten drin”.

Wenn er in Paris war und z. B. im Künstlerhaus Bateau-Lavoir auf dem Montmartre wohnte, war das dann alles andere als ein ruhiges Leben: Auf dem Montmartre lebten zahlreiche Künstler, frei und ungezügelt und billig, umzingelt von Kabaretts und Tanzlokalen und kleinen Restaurants, und in den Ateliers/Wohnungen der Künstler wurde gefeiert, häufig und recht ungezügelt.

So gab Picasso 1908 ein großes Fest zu Ehren Henri Rousseaus, über das so lange geredet wurde, dass es kunsthistorische Bedeutung erlangte. Eine beeindruckende Reihe von Künstlern lief in dem zur Scheune umgestalteten Atelier auf, “Jedermann soll schön blau gewesen sein”, und das Fest endete erst, als die Sonne schon am Himmel stand.

Die Medien malen die Bilder, wie sie wollen

Manchmal geriet nicht nur ein Fest ziemlich außer Kontrolle, sondern den Medien wurden Geschichten mit dem Zeug zum handfesten Skandal geboten. In irgendeiner nicht weiter abgesicherten Art und Weise beteiligte, wegen ihres “Bohèmelebens” verdächtige Prominente wurden auch damals schon sehr gerne zum Gegenstand der Berichterstattung gemacht.

So befand sich Picasso vor rund 100 Jahren unversehens und unverschuldet mitten in einem DER Skandale der Zeit, einem Skandal um den Diebstahl des wohl berühmtesten Frauenbildnisses der Welt, der als erschütterndstes Ergebnis zutage förderte, dass der Louvre damals für Diebe fast ein Selbstbedienungsladen war.

Im Sommer 1911 verschwand die Mona Lisa aus dem Louvre. Picasso und sein Freund Guillaume Apollinaire hatten sich vielleicht in Paris den Ruf erworben, schönen Frauen nicht widerstehen zu können; offiziell wurde Apollinaire jedoch verdächtigt, weil man bei ihm zwei aus dem Louvre gestohlene Steinmasken fand. Diese hatte Apollinaire von einem Mitbewohner und Picasso von Apollinaire erworben. Apollinaire wurde auf jeden Fall verhaftet und sagte aus, dass Picasso beteiligt war, schon war der nun mitten drin im Medien-Rummel um den Jahrhundert-Diebstahl.

Es gab eine Menge hin und her, der Mitbewohner (Géry Pieret) klaute noch eine Figur im Louvre und übergab sie der Zeitung Paris-Journal – nur um zu demonstrieren, dass es mit der Sicherheit im Museum nicht zum Besten stand. Die Zeitung bot 50.000 Franc für jeden, der die Mona Lisa wiederbeschaffte, Apollinaire und Picasso übergaben ihre Skulpturen schließlich dem Paris-Journal.

Picassos wurde lediglich verhört, der Prozess gegen Apollinaire wurde irgendwann aus Mangel an Beweisen niedergeschlagen. Der wahre Dieb war ein italienischer Bildereinrahmer, der im Louvre gearbeitet hatte, die Mona Lisa tauchte Dezember 1913 in Florenz wieder auf, bis dahin hatte die Presse eine Menge Spaß und Picasso eine Menge Ärger mit dem Fall gehabt. Während der zweieinhalb Jahre, in denen die Mona Lisa verschwunden war, wurden insgesamt acht Mona-Lisa-Fälschungen an Sammler verkauft.

Es gibt Varianten der Story, nach denen die gesamten im Umfeld des Skandals verzeichneten Diebstähle nur begangen worden seien, um die gewaltigen Sicherheitslücken in der Diebstahlsicherung des Louvre aufzuzeigen. Guillaume Apollinaire soll überhaupt nur beschuldigt worden sein, weil er zu der Gruppe von Künstlern gehörte, die heftige Kritik übten an der Art von abgestandener Museumskunst, die der Louvre repräsentierte – Apollinaire hatte einmal ein Manifest unterzeichnet, in dem gedroht wurde: “Burn Down The Louvre.” (Brennt den Louvre nieder).

Die nächste Variante der Geschichte sah den italienischen Verglaser Perugia als engagierten Retter nationaler Kunst – er sollte die Mona Lisa gestohlen haben, weil er glaubte, dass sie von Napoleon widerrechtlich aus Florenz entführt worden sei, mit der “Rückführung” wollte er nur seine Pflicht als Patriot tun.

Die Medien und die Fremden

Viel interessanter als der wirkliche Skandal ist die – damals wie heute – manchmal bodenlos menschenverachtende und unsachliche Berichterstattung darüber.

Picasso wurde damals von der Presse hart herangenommen, sein Lebensstil wurde als völlig ungehemmt, ausufernd und gefährlich dargestellt. Und – es ist kaum zu glauben – deutliche Anklänge in dieser Richtung finden sich noch in heutigen Medien-Berichten über Picasso und Apollinaire und den Diebstahl der Mona Lisa.

So wird etwa festgestellt (im 21. Jahrhundert!), dass die Story rund um den Raub der Mona Lisa zwar sehr eigenartig sei, dies aber wahrscheinlich nicht für Menschen mit einem Avantgarde-Lifestyle wie Apollinaire und Picasso. Damit unterstellt der Autor einfach einmal, dass “Menschen mit einem Avantgarde-Lifestyle” kriminelle Handlungen völlig normal finden. Arme Künstler, die neben so denkenden Nachbarn wohnen, und bis zur Wiedereinführung des Blockwarts ist es wahrscheinlich auch nicht mehr lange hin …

Nach dem Empfinden eines Wissenschaftlers, der – ebenfalls im 21. Jahrhundert! – einen Artikel über Picasso schreibt, führte dieser ein exzentrisches Leben, weil er sich in seiner freien Zeit mit Freunden in Cafés traf und über Malerei, Literatur, Musik, Philosophie und die neuesten Entwicklungen in Wissenschaft und Technik diskutierte.

Wir fragen uns ängstlich, was für ein Leben eben dieser Wissenschaftler führt …

Picasso und Apollinaire wurden auch wirklich gehässig verspottet, weil sie einer Verhaftung durch die Pariser Behörden mit größter Angst entgegensahen. Der Hintergrund dieser Furcht ist vor allem dann wenig lustig, wenn man ohnehin entsetzt ist über viele Teile der heutigen Medien-Berichterstattung, in denen Flüchtlinge aus fremden Ländern verunglimpft werden.

Auch damals war das Phänomen bekannt, dass Mitglieder einer Menschengruppe sich ängstlich nach außen abschotten. Bei dieser Menschengruppe kann es sich um eine Nation handeln (eine durch das Merkmal der Staatsangehörigkeit zusammengehaltene Gruppe), um die Bevölkerung einer Stadt, die sich als Einwohner eben dieser Stadt definieren, oder um eine eingeschworene Dorfgemeinschaft (um einen Fußballverein, um das Stammpublikum eines Clubs, um die Schulklasse, um die Kleingärtner im “Wo-sich-Fuchs-und-Hase-Gute-Nacht-sagen-Eck” …).

Schon damals waren es innerhalb dieser Menschengruppe entweder die besonders Privilegierten, die ihren Status durch Verunglimpfung neu Zugezogener erhalten wollen, oder die besonders Unterprivilegierten, die aus Angst vor dem Verlust der Reste ihres Besitzstandes auf keinen Fall Fremden Zugang zu ihrer Gruppe gewähren wollen. Schon damals gab es Medien, die beide Richtungen um der Schlagzeilen willen unterstützten.

So gab es im Paris des Anfangs des vorletzten Jahrhunderts ausgeprägte Züge von Rassismus, Apollinaire kannte den Spitznamen “Macaroni wog” (wog = nicht weiße Person), alle Immigranten rund um Apollinaire und Picasso konnten über gelegentlich sehr bösartige rassistische Übergriffe berichten, die vor allem von der Presse und der “Creme de la Creme” der Pariser Gesellschaft ausgingen.

Wenn Sie interessiert daran sind, mehr darüber zu lernen, wie und wie schnell sich solch eine der Menschenwürde widersprechende Haltung entwickelt, möchten wir Sie auf einen aufregenden und aufregend guten Beitrag hinweisen, der zum ersten Mal im Juli 2014 (und seitdem wiederholt) in ZDFNeo ausgestrahlt wurde:

“Der Rassist in uns.” hilft auf Schaudern verursachende Art und Weise zu verstehen, anzusehen unter blog.zdf.de/der-rassist-in-uns/2014/07/11/der-rassist-in-uns-die-sendung-in-voller-laenge.

Die Medien und die Tatsachen

Es gab noch viele Varianten der Geschichte um den Mona-Lisa-Raub, in denen Unmengen völlig verschiedener Wahrheiten niedergeschrieben und veröffentlicht wurden. Die Medien-Berichte von damals könnten deshalb auch gut als Anfang eines kleinen Lehrstücks über den Stellenwert der Wahrheit und sicher belegbarer Fakten in der Medien-Berichterstattung herhalten, und die Medien-Berichte von heute als Beleg darüber, dass sich dieser Stellenwert in den letzten 100 Jahren nicht verbessert hat.

Auch heutige Berichte über der damaligen Raub der Mona Lisa überraschen durch erstaunlich kritiklose Übernahme von “Faktendarstellungen”, wenn z. B. ein Artikel berichtet, dass Vincenzo Perugia sich im Louvre einschließen ließ, die Mona Lisa aus dem Rahmen nahm, in seiner Arbeitskleidung verbarg und unbehelligt aus dem Museum transportierte.

Die Mona Lisa ist nicht auf zusammenrollbarer Leinwand gemalt, sondern auf einer stabilen Tafel aus Pappelholz. Heute wird in solchen Fällen Pappelholz von mindestens 2 cm Stärke eingesetzt, in früheren Zeiten war man eher verschwenderischer mit Material, wenn es um solche Ausnahmeaufträge wie ein “Portrait für die Ewigkeit” ging. Die Mona Lisa ist auch kein kleines Bild, wie häufig zu lesen ist, sondern allenfalls für die Malerei des 16. Jahrhunderts ein kleines Bild.

Nach heutigem Empfinden zählt die Mona Lisa mit knapp einem halben Quadratmeter Bildfläche sicher nicht mehr zu den Miniaturen, und vor allem sind diese 77 cm × 53 cm zentimeterdicke Holzplatte mit Ölfarbe auch einfach einmal ein mächtiger Brocken, von dem eher zweifelhaft erscheint, dass ihn jemand einfach im (gewöhnlich eng anliegenden) Arbeitsgewand verbirgt.

Die Medien und die Ereignisse

Eine weitere Parallele zur Presse von heute zeigt sich in der häufig geäußerten Vermutung, dass es genau der Rummel um diesen Kunstraub gewesen sei, der dafür gesorgt hätte, dass die Mona Lisa zum Kunstwerk mit absolutem Ausnahmestatus emporstieg. Es gibt einige Künstler, die noch heute in ihrem Hobbyraum werkeln würden, wenn sie nicht durch irgendein “event”, das mit ihrer Kunst recht wenig zu tun hatte, ein kräftiges Medienspektakel entfacht hätten (und die Kunst dieser Künstler ist auch oft genug mehr Spektakel als Kunst).

Schon zur ersten Biennale in Venedig, im Jahre 1895, mutmaßte ein italienischer Maler, das gesamte Festival “sei doch nur eine bösartige Spekulation, um Gastwirten und Eisenbahngesellschaften einen Gewinn zu verschaffen“, und eine derartige Vermutung wurde ganz bestimmt nicht nur zur Veranstaltung in Venedig geäußert.

“Event” steht in Anführungsstrichen, weil es hier genau um den ursprünglichen Wortsinn geht – das englische Wort event heißt übersetzt einfach Ereignis, und ein entsprechendes Gefühl beschleicht kopfklare Beobachter eines events ziemlich häufig: Es geht darum, dass etwas passiert, irgendetwas, mit Sinn oder ohne, Hauptsache die Medien berichten darüber.

Aber immerhin machen die event-veranstaltenden Künstler noch Kunst, wenn der Medien-Rummel sie bekannt gemacht hat, während wir uns reihenweise mit nervigen Girls mit Hündchen auf dem Arm als Markenzeichen, nervigen Girls mit einer Handtasche als Markenzeichen, nervigen Girls mit blonden und dunklen Haaren und unterirdischer Sprachmächtigkeit als Markenzeichen, nervigen Girls mit fülligem Po als Markenzeichen, nervigen Girls mit Entenschnabel-Lippen als Markenzeichen und nervigen Girls mit langen Namen ohne Markenzeichen herumärgern müssen, die einfach nichts tun, außer da sein und uns fast unentrinnbar mit ihrem Anblick zu belästigen.

Sie empfinden es als feministischen Rückfall ins Mittelalter, dass eine Autorin hier keine nervigen Jungs nennt? Wollte sie, aber der Autorin ging es hier darum herauszustellen, dass man ohne jeglichen Anflug von Geist UND ohne jegliche Produktivität berühmt werden kann, und da ist ihr einfach kein männlicher Protagonist eingefallen – die werden alle Moderatoren, produzieren also etwas.

Die Medien und die Personenkenntnis

Erstaunlich ist auch, wie gut manche Autoren darüber Bescheid wissen, was Picasso wusste und was er nicht wusste:

Picasso habe sicher keine Neigung zur Mathematik gehegt, und ganz gewiss hätte er um 1907 von Einstein ebenso wenig gewusst wie alle anderen Künstler auch, weiß da jemand zu berichten.

Das erscheint zweifelhaft: Picasso war dafür bekannt, seine nicht dem Malen gewidmete Zeit in den Pariser Cafés rund um den Montmartre zu verbringen. Diese Cafés waren intellektuelle Zentren der Stadt, man ging dort nicht zum Kuchenessen (und auch nicht zum “Gesehenwerden”) hin, sondern es wurde Kaffeehauskultur gepflegt, im ursprünglichen Sinn des Wortes, stundeslanges Sitzen bei einem Kaffee, alle nennenswerten Zeitungen kostenlos verfügbar, lebhafte Diskussionen über die Tische hinweg.

Diese Kaffeehauskultur gehört als “Wiener Kaffeehauskultur” seit 2011 zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO, und auch wenn den Wienern auf jeden Fall die Ehre des lebendigen Erhalts dieser Kultur gebührt, waren sie nicht die Begründer dieser Kultur.

Die ersten Kaffeehäuser eröffneten im 12. Jahrhundert mitten auf der Arabischen Halbinsel in Mekka, 1554 war das Kaffeehaus in Istanbul und damit auf dem europäischen Kontinent angekommen. Um 1650 eröffneten Kaffeehäuser in Venedig, Oxford und London, 1685 in Wien und 1686 das erste richtige (feste) Kaffeehaus in Paris.

Dieses Café Procope war es, das mit seinem vornehmen, aber gemütlichen Ambiente und den zahlreichen Angeboten “rund um den Kaffee” zum beliebten Treffpunkt der Gesellschaft und zum Diskussions-Forum von Literaten und Philosophen wurde, in Paris wurde die Kaffeehauskultur als Beobachtungsplattform des intellektuellen Lebens also eigentlich “erfunden”.

Picasso fühlte sich wohl auf dieser “Beobachtungsplattform” und nahm die intellektuellen Anregungen begierig auf, zu seinem “Bande à Picasso” genannten Zirkel gehörten nicht nur Avantgarde-Künstler, sondern auch Schriftsteller und Journalisten und Menschen mit Interesse ab Naturwissenschaften und Mathematik.

Die neuesten Entwicklungen in diesen Wissenschaften waren ebenso Thema wie die neuesten Ereignisse in der Welt der Kunst, die populärwissenschaftlichen Magazine der Zeit und Besprechungen naturwissenschaftlicher Bücher waren ebenso als Lesestoff verfügbar wie das ganze Spektrum der Tageszeitungen.

Dass auch die neuesten Entdeckungen in der Physik ein Thema in diesem Künstlerzirkel waren, ist sogar ausdrücklich belegt, der 1905 erschienene Bestseller von Gustav Le Bon, „L’Evolution de la Matière.”, in dem der Autor jede Art von Strahlung auf den Zerfall von Atomen zurückführte und die Existenz einer stabilen Materie anzweifelte, ist als Diskussionsthema mit Zitaten überliefert.

Genau in diesem Jahr 1905 legte Einstein vier Publikationen über verschiedene Themen vor, von denen jede einzelne nobelpreiswürdig war: Die Lichtquantenhypothese, die Bestätigung des molekularen Aufbaus der Materie durch die ‚brownsche Bewegung‘, die quantentheoretische Erklärung der spezifischen Wärme fester Körper und die zwei Arbeiten, die als spezielle Relativitätstheorie in die Geschichte eingingen.

Mit diesen Arbeiten hat Einstein das Jahr 1905 zum Annus mirabilis (Wunderjahr) der Physik gemacht, und auch wenn nicht sicher festzustellen ist, wann diese zur rückwirkenden Betrachtung gehörende Bezeichnung das erste Mal ausgesprochen wurde, war diese “Explosion von Genie” unter interessierten Menschen ganz sicher ein Thema und wird ebenso sicher bereits ein gutes Stück vor dem Jahr 1907 bis nach Paris gedrungen sein – die großen Zentren der Wissenschaft und Kultur befanden sich damals meist in den großen Städten Europas und hielten engen Kontakt untereinander.

Wenn man das alles weiß, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass der an allem Neuen dringend interessierte Picasso im Jahr 1907 Einstein kannte als dass er ihn nicht kannte – und es ist auch wenig Grund ersichtlich, die weltoffenen und weltinteressierten Künstler in Picassos Umfeld als unwissende Ignoranten abzustempeln.

Die abschätzige Betrachtung der “Bande à Picasso” lässt wohl eher ein deutliches Bild auf den Geist des Berichterstatters zu als auf Picassos Informationsstand.

Deshalb ordnen großzügigere Denker Picassos intellektuelle Fähigkeiten auch grundlegend anders ein, und sie sehen in den Diskussionen rund um Mathematik und Wissenschaft eine der Grundlagen für das Entstehen des Kubismus, für den Picasso mit seinem Bild “Les Demoiselles d’Avignon” eben in diesem Jahr 1907 den Startschuss setzte, mehr dazu im Artikel “Art-o-Gramm: Picasso – Berühmte Kunst und ihr Geheimnis”.

Die Medien und die kreativen Unternehmungen

Es gehört zum Geheimnis des umwerfenden Erfolgs des Künstlers Picasso, dass er Kunst und Wissenschaft nicht als berührungslose Antipoden sah. Auch andere Kreative empfinden Kunst und Wissenschaft als nicht so verschieden im Denken, weil hinter dem Schaffen in beiden Disziplinen ein grundsätzlicher kreativer Vorgang steckt.

Um Neues zu entdecken bzw. zu erschaffen, muss jeder Schöpfer (ob Künstler oder Forscher) das Vorhandene analysieren und in den entscheidenden Grundzügen verstehen; erst dann hat er ausreichend Überblick, um wirklich neue Denkansätze entwickeln zu können.

Erst die allumfassende Neugier ermöglicht die Inspiration, die wirklich Neues schafft, ein Beispiel in diese Richtung gibt aktuell das 2011 aufgelegte “artist in residency”-Programm von CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung. CERN will Künstler und Physiker zusammenbringen und nimmt zu diesem Zweck Künstler aus aller Welt in den CERN-Laboratorien nahe Genf auf, die mit den Physikern kooperieren und Ideen austauschen (Infos zum Programm auf http://arts.web.cern.ch).

Dass solche Ansätze in der üblichen Medien-Berichterstattung kaum auftauchen, ist Normalität. Beispiele für die Ergebnisse, die eher uninspirierte Entwicklung erbringt, sehen wir aktuell im Internet-Business zur Genüge, über sie und ihre Erfolge wird in den Medien eifrig und gerne berichtet:

Ein “Social Network” (eine Selbstdarstellungs-Plattform mit ein paar Funktionen) war im September 2014 so viel wert wie 2/3 des deutschen Bundeshaushalts, ein Online-Schuhverkäufer immerhin noch 600 Millionen, und eine Art Popcorn-Maker für Start-ups, die weitere dieser monopolisierenden Verkaufsplattformen wie andere Menschen Popcorn produziert, soll nach ihrem Börsengang mehr wert sein als die Lufthansa.

Picasso hat zum Themenkreis “Lebensbewältigung durch Computernutzung” geäußert:

“Computer sind nutzlos. Sie können nur Antworten geben”

(gefunden auf www.zitate-online.de/sprueche/kuenstler-literaten/16328/computer-sind-nutzlos-sie-koennen-uns-nur-antworten-geben.html).

Das Zitat stammt aus dem Jahr 1946, und Picasso zeigte sich damit nicht nur sehr gut über die Neuheiten der Technik informiert, sondern mahnte eine grundlegend wichtige Sichtweise an – was die Medien, die dieses Zitat unter die “berühmten Fehlprognosen” zum Computer einordnen (so z. B. www.sueddeutsche.de/digital/beruehmte-fehlprognosen-computer-sind-nutzlos-1.935972), wohl einfach nicht verstanden haben:

Computer können Aufgaben beliebiger Art (schneller als der Mensch) ausführen, aber der Mensch muss verantwortlich bleiben, er muss diese Aufgaben festlegen, inklusive der Ethik und Moral geschuldeten Beschränkungen, die stellt der Computer ebenso wenig selbsttätig auf wie eine Waffe.

Kommunikation über Social Networks kann sicher Menschen verbinden; die Möglichkeit, dem Computer zu sagen, was er mit bestimmten Daten wie zu tun hat, ist aber auch hier Voraussetzung dafür, diese Daten weiterhin zu kontrollieren – wer seine Daten fremden Unternehmen überlässt, die diese Daten in einer ihm nicht bekannten und für ihn nicht nachvollziehbaren Art und Weise verarbeiten, gibt die Kontrolle ab, je nach Datenfülle die Kontrolle über sein gesamtes eigenes Leben.

Picasso war natürlich nicht nur der Prototyp eines Menschen, der mit seinem Leben (und seinen Lieben, die Thema der nächsten Szenen dieses Artikels sind) den eher an Gewinn als an echtem Journalismus interessierten Medien prächtige Vorlagen lieferte.

Über ihn gibt es viel mehr zu berichten, auf Kunstplaza werden im “Art-o-Gramm: Picasso – Ein langes Leben für die Kunst” sein Leben und im “Art-o-Gramm: Picasso – zum Künstler geboren” seine Ausbildung zusammengefasst. Dass Picassos Leben leider nicht nur aus verrückten Festen bestand, wird im “Art-o-Gramm: Picasso – ein Künstler und drei Kriege” beschrieben, im “Art-o-Gramm: Picasso – Berühmte Kunst und ihr Geheimnis”, “Art-o-Gramm: “Picasso – ein Garant für Top-Ranking” und “Art-o-Gramm: Picasso heute” geht es um seine Kunst und deren Nachwirkungen bis in die heutige Zeit.

Der Beitrag Art-o-Gramm: Picasso – Der Künstler, das Leben und die Liebe – Szene 1 erschien zuerst auf Kunstplaza.



Weitere tolle Infos zu diesem Thema gibt es hier:
http://www.kunstplaza.de/kuenstler/picasso-der-kuenstler-das-leben-und-die-liebe-szene-1/

Ein kleines Weihnachtsgeschenk – Einführung

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Im Artikel “Adventsstimmung – im und aus dem Computer” haben wir Ihnen einen Adventskalender mit Engeln vorgestellt, der ist natürlich immer noch aufzurufen: Unter www.onlinekunst.de/engel/24_engel_bild.html landen Sie direkt beim Engel des 24. Dezember.

Engel Adventskalender auf onlinekunst.de

Engel Adventskalender auf onlinekunst.de

Unser kleines Weihnachtsgeschenk an Sie sind Texte zu jedem Künstler, der einen Engel des Adventskalenders gestaltet hat.

Die Texte werden im Artikel nach Zeitablauf geordnet und folgen im Artikel “Ein kleines Weihnachtsgeschenk – Engel-Künstler zum Kennenlernen” in zwei Teilen zum Herunterladen.

Unser kleines Weihnachtsgeschenk mit den Engel-Künstlern zum Kennenlernen umfasst auch eine Idee für künstlerischen Zeitvertreib, der viel Übung bringt bis zum Frühjahr: Bilder vom Kalender als Malvorlagen herunterladen (zum rein privaten Gebrauch zu solchen Zwecken darf man das, nur verbreiten, verkaufen usw. nicht), in einem Grafikprogramm vergrößern und dann ausdrucken – und dann loslegen mit Bildern für den eigenen Kalender.

Ungeübte übertragen erst die Umrisse mit Pauspapier auf ihren Malgrund, Fortgeschrittene zeichnen die Engelbilder freihändig ab. Während der Arbeit können Sie die Texte zu den Engeln bereitliegen haben, damit Sie wissen, welcher Malweise/welchem berühmten Künstler Sie sich gerade tätig nähern. Anschließend können Sie den Text zu jedem Engel in eine Schmuckschrift nach Wunsch setzen, ausdrucken, ausschneiden und mit Ihren Bildern auf eine Kalendervorlage kleben.

Der älteste Engel auf dem Kalender ist ein Engel aus dem 13. Jahrhundert, und es erhöht die Ehrfurcht vor der gesamten Engels-Kunst sicher noch ein wenig, wenn man sich klarmacht, dass es sich bei diesem “uralten Engel” bereits um sehr junge Kunst handelt. Denn die Kunst hat für den Menschen sehr früh eine große Rolle gespielt, wenn man sich mit diesem Thema beschäftigt, wird zugleich klar, warum die Kunst so wichtig ist für den Menschen:

Kunst und Menschheitsentwicklung

Kein Deuteln hilft: Biologisch gehört der Mensch zu den Affen, er ist ein höheres Säugetier der Ordnung Primaten (Primates), innerhalb dieser Mitglied der Familie der Menschenaffen (Hominidae). Immerhin hat der Homo sapiens einiges richtig gemacht, er ist die einzige Art der Gattung Homo, die (bis heute, Skeptiker geben ihm nicht mehr lange) überlebt hat. Das auch schon eine ganze Weile, die ältesten fossilen Homo-Sapiens-Skelette aus Afrika sind rund 200.000 Jahre alt.

Bereits die Abgrenzung Mensch – Affe hat ein wenig mit Kunst zu tun; der Mensch habe sich als “die Krone der Schöpfung” abgegrenzt, als er begann, Steinwerkzeuge zu bearbeitet und zu benutzen. So ein beliebter Ansatz, und es wird behauptet, aber bis heute nicht wirklich präzise bewiesen, dass die Gattung Homo deutliche Abstände zu den nächst verwandten Gattungen zeigt.

Als Begründung wird das größere Gehirn herangezogen. Das Mindestvolumen des Homo-Gehirns wurde im Jahr 1950 von einem Herrn Mayr auf 900 cm³ festgelegt. Aber als wirklich unabdingbares Merkmal wurde das in der Wissenschaft nicht angesehen, nicht richtig festlegen ist immer ziemlich praktisch und sollte sich auch in diesem Fall als praktisch erweisen:

Als 1964 der “Homo habilis” entdeckt wurde, entdeckte man auch, dass 900 cm³ als Untergrenze eine etwas optimistische Annahme waren, der Homo habilis verfügte nur über magere 600 cm³, sehr knapp über Gorilla-Niveau.

Deshalb setzte man schnell mal die Grenze auf diese 600 cm³ hoch, sichere 94 Punkte über dem Gorilla, der auf 506 cm³ festgelegt worden war. Ein Trick, aber kein gutes Argument: 1966 wurde ein (sehr großer) Gorilla mit einer Schädelkapazität von 685 cm³ gefunden, der wäre nach dieser Definition dann also ein “Homo gorillus” …

Als weiteres Merkmal wird z. B. der aufrechte Gang herangezogen, der für die 70 Prozent der Menschen, die gelegentlich oder ständig mit Rückenschmerzen herumlaufen, eher ein Missgriff der Evolution…

Warum der Mensch der restlichen Lebenswelt geistig überlegen sein soll, ist dann noch ein wenig schwieriger zu begründen. Nein, Weltraumraketen und Atomkraft und Gentechnologie haben nicht unbedingt etwas mit Überlegenheit zu tun, kommt nämlich darauf an, wer wem überlegen ist und was das bringt – gerade bei der Betrachtung dieser und anderer menschlicher Wunderwerke kommt so mancher Zeitgenosse ins Zweifeln über die menschliche Überlegenheit, aber dazu kommen wir noch.

Zur Begründung der Überlegenheit … Carl von Linné, der 1735 die Gattung Homo aufstellte, wusste auch nicht so recht, verzichtete lieber auf eine diesbezügliche Abgrenzung seiner Gattung und schrieb einfach “Nosce te ipsum” (Erkenne dich selbst) als Beschreibung des Menschen in seine Schrift “Systema Naturæ”.

Damit hat der Mensch bekannterweise auch 279 Jahre später so seine Schwierigkeiten, und es ist auch ziemlich zweifelhaft, ob großes Hirn überhaupt schlaues Hirn heißt.

Dann wären Männer z. B. schlauer als Frauen, weil ihr Gehirnvolumen ein Stück größer ist – das oben zitierte Schädelvolumen des sehr großen Gorillas legt aber bereits nahe, dass das nicht stimmt. Vor einigen Jahren hat die Neurowissenschaft das dann auch bewiesen:

Es stimmt, dass die Gehirne von Männern durchschnittlich in einem größeren Schädel sitzen und etwa 100 g schwerer sind als die Gehirne von Frauen. Der Mann hat also mehr Gehirnmasse. Diese Entdeckung wurde während des 19. Jahrhunderts begeistert dazu genutzt, die Vorrangstellung des Mannes vor den Frauen argumentativ zu untermauern, die für die Anhänger des damals so populären Sozialdarwinismus ohnehin aus dem “Recht des Stärkeren” folgte.

Die großen Fortschritte, die damals in den Naturwissenschaften gemacht wurden, sorgten also nicht für Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenlebens, sondern wurden ganz im Gegenteil dazu benutzt, die Entrechtung eines Teil der Gesellschaft noch fester zu verankern. Hier zeigt sich wieder einmal sehr deutlich, dass “mehr Gehirn” nichts mit “mehr Verstand” zu tun hat – Zivilisation heißt, das “Recht des Stärkeren” zugunsten aller in einer Gemeinschaft Lebenden zu überwinden.

Diese Unterschiede in der Gesamtgehirngröße eigneten sich sehr gut (und sehr lange) als Begründung dafür, Frauen die Gleichberechtigung in der ach so zivilisierten Gesellschaft zu verweigern.

Vor einigen Jahren wurde nun entdeckt, dass neben der Gesamtgehirngröße auch die relative Größe verschiedener Gehirnareale bei Mann und Frau Unterschiede zeigt.

Bei Frauen ist der Hippocampus größer, der ist für Lernen und Erinnerung zuständig.

Bei Männern ist anstatt dessen die CA1-Region im Hippocampus größer, in der liegt das Raumgedächtnis. Außerdem kommt das größere Gehirngewicht durch eine erhöhte Anzahl der Pyramidenzellen zustande. Die sind für die Übertragung von Informationen zuständig, die von Sinnesorganen empfangen werden, und für die Übertragung von erregenden und hemmenden Impulsen. Die Pyramidenzellen übertragen die Informationen aus anderen Gehirnregionen in den Cortex (neuronenreiche Großhirnschicht). Wenn zu wenig Erregung (Frequenz unter 6 Hertz) zu übermitteln ist, schaltet der Cortex auf Schlafmodus.

Vermutlich nicht nur eine Erklärung für postkoitale Schlafanfälle, sondern auch ein guter Grund dafür, “jedem Rock hinterherzusteigen” – wer will schon eine schlafende Großhirnrinde (und der Grund für merkwürdige Entscheidungen all der Männer, die das nicht mehr tun?).

Auch die Amygdala arbeitet bei Männern anders als bei Frauen: Reproduktionsverhalten, emotionale Ereignisse und deren Abspeicherung werden bei Frauen von der linken Gehirnhälfte be- und verarbeitet, bei Männern von der rechten Gehirnhälfte. Die linke Gehirnhälfte ist die Hälfte mit dem “wachen Bewusstsein”, sie verarbeitet analytische, logische, rationale, sprachliche und zeitlich lineare Prozesse.

Die rechte Gehirnhälfte arbeitet ganzheitlich, sie ist für Bildbearbeitung und Bildverarbeitung zuständig, für Musik und Kreativität und für Intuition, hier wird räumlich und zeitunabhängig, emotional und körperorientiert gedacht … klingt erstmal leicht ketzerisch, für Emotionen sind doch die Frauen zuständig und für Intuition auch. Allerdings wird bei einer streng geschlechtsspezifischen Darstellung unterschlagen, dass in jeder Frau ein bisschen oder ein bisschen mehr Mann steckt und umgekehrt.

Diese strikte Zuordnung nach dem alten “Hemisphärenmodell” haben die Neurowissenschaftler sowieso längst aufgegeben, ganz so einfach ist es denn doch nicht. Festhalten können wir hier aber zumindest das Ergebnis, dass es auf die Gesamtgehirngröße offensichtlich eher nicht ankommt …

Überhaupt, in typisch menschlicher Selbstüberschätzung ist die Abgrenzung nach Werkzeugbenutzung den Affen gegenüber ziemlich ungerecht – Affen benutzen viele Werkzeuge und wer sich zum Affen macht, wenn er Affengemälde für über 20.000 Euro kauft, ist eine ganz andere Frage (so geschehen 2005 in London, siehe www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/kunst-auktion-gemaelde-eines-schimpansen-erzielt-14-000-pfund-a-361378.html).

Auch wenn das menschliche Hirn ganz schön groß ist, ist es durchaus Sache des Standpunkts, ob es das menschliche Gehirn die besten Leistungen hervorbringt. Der Mensch wählt von “den besten Leistungen” wie jedes noch so unterentwickelte Reptil am liebsten die Leistungen aus, die seine eigene Art weiterbringen. Wenn er wirklich die Krone der Schöpfung wäre, sollte er jedoch sicher schon so weit sein, nur die Ergebnisse von Hirnleistungen auszuwählen, die jedes Leben auf der Welt weiterbringen oder ihm zumindest nicht schaden.

Der Mensch ist davon weit entfernt, er schafft es im Gegenteil sogar, sich dauernd und überall selbst zu schaden, wenn er Gehirngeburten in die Tat umsetzt. Da gibt es unheimlich viele Arten, die bessere Wege “erdacht” (in der Evolution entwickelt) haben: von der Pflanzen bestäubenden Biene über die vielen verschiedenen Winzlinge, die für Bodenbearbeitung und damit für Bodenentstehung zuständig sind, bis hinunter zu den mehreren hundert verschiedenen Arten Bakterien im menschlichen Körper (rund 2 kg), ohne die er jämmerlich verenden würde – großes Hirn ist nicht gutes Hirn.

Ein Gemälde von Congo (1954-1964), einem Schimpansen, der im Alter von zwei bis vier Jahren Bilder unter der Leitung von Desmond Morris (1928) malte.

Ein Gemälde von Congo (1954-1964), einem Schimpansen, der im Alter von zwei bis vier Jahren Bilder unter der Leitung von Desmond Morris (1928) malte.

Auf jeden Fall erzählen die Bilder des Affen Congo von geistiger Anregung durch künstlerische Betätigung, Picasso hatte einen “echten Congo” aufgehängt und im Jahr 2012 gab es eine ganz Ausstellung von Tier-Kunst am Londoner University College. Mit Kunst von Schimpansen, Orang-Utans und Gorillas, Gemälden von Elefanten und architektonischen Wunderwerken, die Laubenvögel ihren künftigen Liebsten bauen.

1956 – 1958 weiteres Bild, gemalt vom Schimpansen "Congo"

1956 – 1958 weiteres Bild, gemalt vom Schimpansen “Congo”

Hier noch weitere Tier-Kunst zum Anschauen:

http://culturacolectiva.com/el-nido-de-amor-del-ave-tilonorrincoLaubenvögel-Prachtpaläste
http://luliemarie.blogspot.de/2012/08/bower-bird-nests.htmlnoch mehr Laubenvögel-Prachtpaläste
http://www.nams.ca/MagiBlog/tag/great-bowerbirdein echter Künstler unter den Laubenvögeln

Unbestritten ist in diesem Gesamtkomplex, dass Kultur (neben Genetik und Gehirnentwicklung, ökologischen und sozialen Interaktionen) eine maßgebliche Rolle für die Menschwerdung spielte. Ein Mensch ist angewiesen auf soziale Bindungen, auf Versorgung in der Kindheit und Zuwendung seiner Artgenossen, auf Spracherwerb und Förderung seiner Anlagen, der geistigen und der kulturellen. Damit er Mensch wird und Mensch bleibt. Die kulturellen Faktoren (Kunst) spielen deshalb immer noch eine maßgebliche Rolle in der Menschwerdung – bzw. sorgen heute dafür, dass der Mensch Mensch bleibt, und damit hat der ganze vergangene Absatz einen der entscheidenden Aspekte erklärt, der Kunst so wichtig für uns macht.

Deshalb entdeckte der Mensch früh die Kunst, zuerst im Rahmen kultischer Handlungen vorzeitlicher Kulturen. Bereits in der Altsteinzeit gab es Malerei und Skulptur, Musik und Tanz: Im Lonetal (Baden-Württemberg) wurden knapp 40.000 Jahre alte Elfenbeinfiguren gefunden, in einer Höhle bei Blaubeuren (Geißenklösterle) noch etwas ältere Flöten und in der Chauvet-Höhle im französischen Département Ardèche wunderbare Höhlenmalereien aus einem jüngeren Abschnitt der Altsteinzeit, sie sind “erst” rund 30.000 Jahre alt.

Es waren die ersten Dinge, die unsere Vorfahren ohne unmittelbaren Nutzen für die Lebenserhaltung anfertigten. Diese Kunst wirkte als Indikator für die Entstehung eines menschlichen Bewusstseins und eines menschlichen Denkens – Anthropologen sehen genau hier den Übergang vom Homo sapiens zum Homo sapiens intellectus.

Im Altertum entwickelte sich die Kunst schon zu einer beindruckenden Meisterschaft: In den späten antiken Kulturen, im Alten Reich Ägypten, im klassischen Griechenland und im späten Rom entstanden eine Fülle traumhafter Kunstwerke, von denen einige bis heute erhalten sind. Architektur, Skulpturen, Fresken und Malerei, Theaterstücke und Musil.

Und bei all dem können wir uns vergegenwärtigen, dass die antiken “artes liberales” (freie Künste, Kunstbegriff unterscheidet sich vom heutigen) so hießen, weil sie ein Vorrecht des freien Mannes waren.

Damals gehörte das gesamte Spektrum der intellektuellen Geistestätigkeit zu den artes liberales: Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie, teilweise auch Medizin und Architektur. Von unseren “Schönen Künsten” zählte nur die Musik dazu (Malerei und Bildhauerei galten als Handwerk, damals begann der Streit, was Kunst und was Handwerk und was Kunsthandwerk ist).

Hier geht es jedoch um etwas anderes: Die Kunst und damit die denkende Tätigkeit war dem freien Mann vorbehalten, und die Ausübung dieser (Denk-)kunst brach ein, als die Freiheit der Menschen beschränkt wurde, durch die Kriegshandlungen und Umbrüche während der Völkerwanderungszeit im Mittelalter.

Der Kunstbegriff wird sich ändern, das Prinzip aber bleibt gleich: Wenn die Kunst weniger wird, werden auch das Denken und die Freiheit weniger, und das ist ein weiterer Aspekt des großen Stellenwerts von Kunst in einer freien Gesellschaft – Kunst ist wichtig für die heutigen Menschen, damit das Denken uneingeschränkt die Richtung wechseln kann.

Kunst vom 13. bis zum 21. Jahrhundert

Weil Kunst so wichtig für die Menschen ist, schenken wir Ihnen als Leser des Blogs zu Weihnachten ein wenig “Überblick in der Kunst”, zur besseren Anschaulichkeit um die Bilder der Engel aus dem Adventskalender gruppiert.

Es ist Kunst ab dem 13. Jahrhundert, als die Kunst der Antike in die Kunst des Mittelalters übergeht. Gerade hatten die Menschheit und die Kunst in den Wirren des Mittelalters einen gewaltigen Rückschritt erlebt. Langsam rappelte man sich wieder und besann sich auf Kunst und Kunstschaffen, noch eher ängstlich und auf religiösen Gehalt der Darstellung konzentriert, wie auf Engel.

Im Artikel “Ein kleines Weihnachtsgeschenk – Engel-Künstler zum Kennenlernen” werden Ihnen die Kunstwerke nach ihrer Entstehungsszeit vorgestellt, ein Spaziergang durch die Kunstgeschichte.

Zur Orientierung hier eine Liste der Künstler und ihrer Kunstwerke in der Reihenfolge der Kalenderbilder:

Kunstplaza wünscht Fröhliche Weihnachten
  • Eingangsseite: Fra Angelico, 1387 – 1455, “Die Verkündigung” aus einer Haupttafel des Altarretabels zum Leben Marias, 1433 bis 1434 entstanden.
  • 1. Dezember: Tizian, 1488 – 1576, “Auferstehung Christi”, linke Tafel aus dem Averoldi-Altarpolyptychon, Verkündigungsengel aus einer Szene oben, 1520 bis 1522 gefertigt.
  • 2. Dezember: Inga Schnekenburger, 1949 – 2013, “Der Engel des Johannes”, 2002.
  • 3. Dezember: Gentile de Fabriano, 1370 – 1427, “Engel der Verkündigung”, linkes Giebeltondo aus der “Anbetung der Heiligen Drei Könige”, 1423 gefertigt.
  • 4. Dezember: Inga Schnekenburger, 1949 – 2013, “Die Zeit schreitet fort”.
  • 5. Dezember: Carlo Crivelli, 1430/1435 – vor 1500, Detail aus “Maria Verkündigung”, 1486 entstanden.
  • 6. Dezember: unbekannter russischer Künstler, “Der Heilige Nikolaus”, um 1665 entstandene Ikone.
  • 7. Dezember: Benozzo Gozzoli, 1420 – 1497, “Anbetende Engel”, Detail aus einem Altar, entstanden zwischen 1460 und 1480.
  • 8. Dezember: Hubert van Eyck, 1370 – 1426, “Musizierende Engel” aus dem “Genter Altar”, der nach heutigem Wissen allein von Jan van Eyck 1426 – 1432 gefertigt wurde.
  • 9. Dezember: Inga Schnekenburger, 1949 – 2013, “Schutzengel”.
  • 10. Dezember: Hubert van Eyck, 1370 – 1426, “Verkündigungsengel” aus dem Genter Altar des Mystischen Lammes, siehe oben 8.
  • 11. Dezember: Meister des Wilton-Diptychons, “Jungfrau Maria mit elf Engeln” aus dem rechten Flügel des Wilton-Diptychons, um 1395 entstanden.
  • 12. Dezember: Rembrandt Harmensz. van Rijn, 1606 – 1669, Details aus “Jakobs Kampf mit dem Engel”, 1659 entstandenes Gemälde.
  • 13. Dezember: Giotto di Bondone, 1266 – 1337, “Trauernde Engel”, Detail aus einem Freskenzyklus in der Scrovegni-Kapelle in Padua, 1304 – 1306 entstanden.
  • 14. Dezember: Filippino Lippi, 1457 – 1504, “Tobias und der Engel”, zwischen 1472 und 1482 entstandenes Gemälde.
  • 15. Dezember: Rembrandt Harmensz. van Rijn, 1606 – 1669, Details aus “Prophet Bileam und die Eselin”, 1626 entstandenes Gemälde.
  • 16. Dezember: Bayerischer Meister, “Verkündigung an Maria”, um 1500 entstanden.
  • 17. Dezember: Domenico Beccafumi, 1494 – 1551, “Verkündigung”, 1545 oder 1546 entstandenes Gemälde.
  • 18. Dezember: Melchior Broederlam, um 1380 – 1410, “Verkündigung” aus dem linken Flügel eines Altars für Philipp den Kühnen, entstanden 1398.
  • 19. Dezember: Ssemjon Fedorowitsch Uschakow, um 1626 – 1686, “Erzengel Gabriel”, Russische Ikone aus dem 2. Drittel des 17. Jahrhunderts.
  • 20. Dezember: Pietro Perugino, um 1445/48 – 1523, “Erzengel Michael”, Detail aus “Maria Himmelfahrt mit vier Heiligen”, 1500 entstandenes Gemälde.
  • 21. Dezember: William Blake, 1757 – 1827, “Erzengel Raphael mit Adam und Eva”, 1808 mit Feder gemalt und aquarelliert.
  • 22. Dezember: Meister der Ursula-Legende, um 1480 – 1510, “Erscheinung des Engels” aus dem Ursula-Zyklus, entstanden um 1500.
  • 23. Dezember: Friedrich Herlin, 2. Hälfte 15. Jahrhundert, “Geburt Christi” vom Flügel eines nicht erhaltenen Polyptychons, entstanden 2. Hälfte 15. Jh.
  • 24. Dezember: Hugo van der Goes, um 1140 – 1482, “Engel”, Detail aus dem Portinari-Altar, entstanden zwischen 1476 und 1478.

Nun weiter zu den Texten, Kunstplaza wünscht viel Spaß damit und Frohe Weihnachten!

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Weitere tolle Infos zu diesem Thema gibt es hier:
http://www.kunstplaza.de/allgemein/ein-kleines-weihnachtsgeschenk-einfuehrung/

Ein kleines Weihnachtsgeschenk – Engel-Künstler zum Kennenlernen

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Teil 1 – 1304 bis 1486

Giovanni Dupré (1817-1882) - Statue von Giotto (1845) an der Fassade der Uffizi Galerie.

Giovanni Dupré (1817-1882) – Statue von Giotto (1845) an der Fassade der Uffizi Galerie
von Frieda auf it.wikipedia (CC-BY-SA-3.0), via Wikimedia Commons

Giotto di Bondone

wurde im Jahr 1266 in Vespignano bei Florenz geboren, er starb am 8. Januar 1337, ebenfalls in Florenz.

Der italienische Maler war wohl der wichtigste Wegbereiter für die Renaissance in Italien, wegen seiner herausragenden Berühmtheit wird er meist nur kurz “Giotto” genannt.

Aus Quellen wie den um 1450 entstandenen Commentarii von Lorenzo Ghibertis weiß man recht viel über ihn. Der Sohn eines Florentiner Schmieds soll von einem Maler beim Hüten und Zeichnen seiner Schafe entdeckt worden sein. Die Künstler der Zeit staunten über sein Talent, nach den Ideen der Renaissance wurden künstlerische Genies bereits als Genie geboren.

Giotto erhielt bald Aufträge in Florenz und wurde von Papst Benedikt XII. nach Rom geholt, wo er 10 Jahre wirkte, für König Robert von Neapel hat er auch gearbeitet. So wurde er berühmt, als Architekt und Bildhauer und Dichter, und er soll großen materiellem Erfolg gehabt haben.

Giotto di Bondone: Madonna und Kind (ca. 1320/1330)

Giotto di Bondone: Madonna und Kind (ca. 1320/1330)
Momentaner Standort: National Gallery of Art

Ab 1320 unterhielt er in Florenz eine wirtschaftlich erfolgreiche Werkstatt, 1334 wurde er Florentiner Dombaumeister, er starb 1337 während seiner Arbeit, in der Bargello-Kapelle in Florenz (bei der Arbeit am “Jüngsten Gericht”).

Giotto soll Fliegen so täuschend echt gemalt haben, dass Freunde sie fortscheuchen wollten, seitdem gilt die Fliege als Symbol künstlerischen Fortschritts. Zur Legende wurde auch “Giottos O”, ein freihändig gezeichneter, vollkommener Kreis, den er einem Abgesandten des Papstes als Arbeitsprobe überreicht haben soll.

Eigentlich hat der Begründer der italienischen Malerei aber nur religiöse Themen behandelt. Dies aber ungewohnt natürlich und lebhaft, unter Einsatz neuer Farben und mit ersten Anklängen von Perspektive, wie bei der berühmten “Ognissanti-Madonna” in den Uffizien, dem einzigen erhaltenen größeren Tafelbild Giottos.

Giotto di Bondone: Das letzte Abendmahl

Giotto di Bondone: Das letzte Abendmahl (etwa 1306)
Kastanienholz, 42,5 x 43 cm
Momentaner Standort: Alte Pinakothek (München)

Giotto wird in Dante Alighieris “Göttlicher Komödie” und in Boccaccios “Decamerone” erwähnt, Petrarca besaß ein Werk von ihm, Michelangelo nahm ihn als Vorbild, und die europäische Raumsonde, die 1985 aufstieg, um den Kometen Halley zu erforschen, trug ebenfalls seinen Namen (mit Grund, Giotto soll den Kometen in einem Freskenzyklus gemalt haben).

Der Engel im Adventskalender entstand irgendwann zwischen 1304 bis 1306. Der große Freskenzyklus in der Scrovegni-Kapelle in Padua, zu dem der Engel gehört, gilt als Giottos Hauptwerk.


Hubert van Eyck

ist ungefähr 1370 in Maaseyck (bei Maastricht) geboren und starb am 18. September 1426 in Brügge.

Der flämische Maler ist geheimnisumwittert, über sein Leben ist nur sehr wenig bekannt; sicher weiß man nur, dass er sich 1421–1422 in Gent in die religiöse Genossenschaft der “Maria mit den Strahlen” einschrieb.

Hubert van Eyck (1366–1426), portraitiert durch Edme de Boulonois (1682)

Hubert van Eyck (1366–1426), portraitiert durch Edme de Boulonois (1682)

Hubert van Eyck war lange berühmt durch den “Genter Altar” (Flügelaltar in der Sankt-Bavo-Kathedrale Gent, 1432 oder 1435 aufgestellt), den er zusammen mit seinem Bruder Jan van Eyck geschaffen haben soll.

Der große Ruhm Hubert van Eycks gründet sich auf eine Inschrift auf dem Genter Altar, auf dem Rahmen steht:

Pictor Hubertur Eeyck. Maior Quo Nemo Repertus
Incepit. Pondus. Que Johannes Arte Secundus
(Frater) Perfecit. Judoci Vijd Prece Fretus
Versv Sexta Mai. Vos Collocat Acta Tveri

Für die Nicht-Lateiner unter uns: “Maler Hubert van Eyck, einen größeren gab es nicht, hat dies Werk begonnen und sein Bruder Johannes, der zweite in dieser Kunst, hat im Auftrag von Jodocus Vijd die schwere Aufgabe vollendet. Durch diese Verse vertraut er Eurer Obhut das an, was am 6. Mai entstand.”

Seit einigen Jahren weiß man jedoch ziemlich sicher, dass es hier eher um einen der ersten großen Kunstskandale geht: Jan van Eyck war kaum der Bruder von Hubert van Eyck, der kommt nämlich aus Brügge und nicht aus Gent (Hubert zwar auch nicht, aber der war in Gent als Maler bekannt).

Als Albrecht Dürer um 1530 den Altar besichtigte, war nach seiner Beobachtung noch keine Spur von einer Inschrift zu sehen, dass er recht hatte, wurde 1950 durch eine Röntgenuntersuchung bewiesen. 1979 ergab eine Infrarotreflektographie, dass auch nur und ausschließlich Jan van Eyck auf dem Altar unterzeichnet hat.

Hubert van Eyck (oder Jan van Eyck?): Genter Altar

Hubert van Eyck (oder Jan van Eyck?): Genter Altar, Altar des Mystischen Lammes, Szene: Ansicht des geöffneten Altars (1426-1432)
Öl auf Holz, Maße: 350 × 461 cm
Standort: Kathedrale St. Bavo (Gent)

Die Motive für die Verunglimpfung des armen Jan van Eyck und seines herrlichen Vermächtnisses an die Nachwelt sollen im Lokalpatriotismus der Genter des 16. Jahrhunderts zu suchen sein. Denn Jan van Eyck war ja ein Zugereister, und ein “Zuagroasda” hat noch ganz woanders Probleme (die Autorin, Berlinerin, meint damit nicht die Bayern, sie liebt Bayern und hatte dort noch nie Probleme und würde sich auch nie zu bayerischen Angelegenheiten äußern, aber das Wort ist so schön).
Auf jeden Fall konkurrierten Brügge und Gent schon lange um die kulturelle Vormacht, und die Genter sollen die zufällige Namensgleichheit gerne ausgenutzt haben, um das zwischenzeitlich berühmt gewordene Kunstwerk “ihrem Hubert” zuzuschieben. Diese These stammt von einem bekannten deutschen Kunsthistoriker und ist bei uns weitgehend anerkannt, ob Gent und Brügge sich heute noch streiten, ist der Autorin nicht bekannt, aber kaum zu vermuten.

Wenn Sie selbst urteilen möchten, hier könnten Sie sich ja im Web einige Bilder von Hubert van Eyck ansehen und vergleichen, wobei neben Bildern aus dem Genter Altar nicht allzu viele zu finden sind …

Die Engel des 8. und 10. Dezember wurden von Hubert van Eyck/Jan van Eyck geschaffen, “Musizierende Engel” und ein “Verkündigungsengel” vom Genter Altar.

Gentile da Fabriano

wurde um 1370 in Fabriano geboren und starb 1427 in Rom.

Gentile da Fabriano - Illustration

Illustration aus “Le Vite” von Giorgio Vasari, Edition von 1568

Über das Leben des Frührenaissance-Malers weiß man nicht sehr viel, nach einigen Quellen soll er Schüler des nicht so rasend berühmten Malers Allegretto Nuzi gewesen sein. Da dieser von 1315/20 bis ca. 1373 gelebt haben soll, vermutlich nicht sehr lange.

Gentile “da Fabriano” ist so ähnlich wie Anton “aus Tirol”, Gentile heißt nämlich eigentlich und noch wohlklingender Gentile di Nicolò Massio.

Gentile war bis zur Jahrhundertwende in seiner Heimatstadt tätig. 1408/1409 wurde er in Venedig gesichtet, wo er einen Dogenpalast mit Fresken zu schmücken sollte, dessen Fertigstellung er jedoch seinem Schülern Pisanello überließ.

Gentile da Fabriano soll lieber in Brescia für Pandolfo III. Malatesta gearbeitet haben, einem Söldnerführer, über den das Netz viel Interessantes zu berichten weiß, z. B. über den Kreuzzug ins Heilige Land, den er bis 1402 führte, seine 2011 ausgegrabene Beerdigungsjacke und sein Nierensteinleiden.

Ab etwa 1420 arbeitete Gentile da Fabriano in Florenz, z. B. für die Familie Strozzi an einer Kapelle in der Kirche Santa Trinita (bedeutendstes Tafelbild: “Anbetung der Heiligen Drei Könige” mit sehr plastischer Darstellung der Figuren). Für die Kaufmannsfamilie Quarantesi erschuf er 1425 das Quaratesi-Polyptychon am Hauptaltar von San Niccolò sopr’Arno in Florenz. 1422 war er in Florenz in die Malergilde aufgenommen worden, nach einem Zwischenspiel in Siena folgte er um 1426 dem Ruf des Papstes Martin V. nach Rom.

Gentile da Fabriano: Die Anbetung der Könige (1423)

Gentile da Fabriano: Die Anbetung der Könige (1423)

Dort begann er in der Lateranbasilika (Bischofskirche von Rom) einen Zyklus mit Fresken aus dem Leben Johannes des Täufers, der wegen Tod des Meisters ebenfalls von Schüler Pisanello vollendet werden musste.

Gentile da Fabriano ist der Nachwelt als bedeutendster italienischer Vertreter der „Internationalen Gotik“ bekannt, und durch seine berühmten Schüler Pisanello und Jacopo Bellini. Der Engel des 3. Dezember gehört zum Tafelbild: “Anbetung der Heiligen Drei Könige” für die Familienkapelle der Bankiersfamilie Strozzi.


Melchior Broederlam

wurde irgendwann vor 1380 geboren und lebte vermutlich bis ungefähr 1410.

Melchior Broederlam (oder Broederlain) war ein flämischer Maler der Gotik, über dessen Leben wir nur sehr wenig wissen.

Sicher ist, dass er sich zwischen 1381 und 1409 am Hof Philipps des Kühnen, Herzog von Burgund, in Ypern aufhielt, und das war es dann eigentlich schon.

Das einzige Werk, das uns Broederlam hinterlassen hat, sind zwei Flügel eines Altars für die Chartreuse de Champmol, einem Kartäuserkloster in Dijon in Burgund, das eigens gegründet wurde, um die Gräber der Herzöge von Burgund zu beherbergen.

Als Broederlam ankam, hatte der Bau schon seit Jahren mehr als 250 Arbeiter aus verschiedenen Regionen und allen Baugewerken beschäftigt, bereits 1390 waren die Skulpturen auf den Retabeln bei Jacques de Baerze in Auftrag gegeben worden, 1391 wurden sie nach Ypern geliefert.

Melchior Broederlam war von 1393 bis 1399 mit den Gemälden auf den Retabeln beschäftigt, 1399 wurden sie in der Chartreuse aufgestellt. Auf dem Altar zu sehen waren/sind die “Verkündigung” und die “Heimsuchung Mariens”, die “Darbringung im Tempel” und die “Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten”.

Neben der Zeit in Ypern soll Melchior Broederlam 1389 und 1399 in Dijon gearbeitet haben und 1390 und 1395 in Paris, Zeugnisse sind jedoch nicht mehr zu finden. Der Engel des 18. Dezember gehört zum linken Flügel des Altars, den Melchior Broederlam für Philipp den Kühnen gestaltete.

Fra Angelico

wurde 1387 (zwischen 1386 und 1400) in Vicchio di Mugello bei Florenz geboren und starb am 18. Februar 1455 in Rom.

Mit Namen ist der Maler der italienischen Frührenaissance reichlich gesegnet. Er wurde als Guido (Guidolino) di Pietro geboren. Mit seinem Ordensgelübde nahm er den Namen Giovanni (Bruder Johannes) an, den seine Zeitgenossen mit dem kennzeichnenden Zusatz Fiesole (Stadt nahe Vicchio, Kreis Florenz) versahen.

Posthumes Portrait des Fra Angelico, gemalt von Luca Signorelli (ca.1501)

Posthumes Portrait des Fra Angelico, gemalt von Luca Signorelli (ca.1501)

Giorgio Vasari, italienischer Architekt, Hofmaler der Medici und einer der ersten Kunsthistoriker, der über Leben und Werk Leonardo da Vincis, Raffaels und Michelangelos und auch über Fra Giovanni schrieb, nannte Fra Giovanni in seiner vor 1555 entstandenen Biographie bereits Fra Giovanni Angelico (der Himmlische, Engelsgleiche). Die Nachwelt redet sogar von Il Beato Fra Angelico (der glückliche, gesegnete Himmlische Bruder) – im Fall eines Ordensbruder kein Lob besonderen Talents, sondern auf die Art bezogen, in der Fra Angelico seine christlichen Motive darstellte.

1982 sprach Papst Johannes Paul II. Fra Angelico tatsächlich selig, er war zu dieser Zeit bereits lange als Schutzpatron der christlichen Künstler bekannt.

Über Fra Angelicos Eltern weiß man nichts, das früheste erhaltene Zeugnis über ihn ist ein Dokument von 1417, das den Beitritt zu einer religiösen Bruderschaft und sein Werken als Maler belegt, dieses ergibt sich auch aus zwei Quittungen von 1418, ausgestellt über Bezahlung für künstlerische Arbeiten in der Kirche Santo Stefano del Ponte, Sestri Levante, Ligurien.

Als Ordensbruder des Dominikanerordens, Fra Giovanni, wird er das erste Mal 1423 erwähnt. Fra Angelico wurde bei den Dominikanern als Illuminator (Buchmaler) ausgebildet und soll mit seinem Bruder Benedetto, ebenfalls Dominikaner, zusammengearbeitet haben. Seine Lehrer sind unbekannt, die ersten Werke nicht erhalten.

Fra Angelico hat sich aus Ligurien wieder in den Süden bewegt, über Fiesole hinaus, von 1408 bis 1418 lebte er in Cortona in der Toskana im Dominikanerkonvent und fertigte Fresken in der Kirche an. Vasari erwähnt später ein Altarretabel und einen bemalten Lettner in einer Florentiner Kartäuserkirche.

"Madonna of Humility" von Fra Angelico

“Madonna of Humility” von Fra Angelico (1440)
Standort: Rijksmuseum Amsterdam

Um 1420 ging Fra Angelico zurück nach Fiesole, in das Kloster San Domenico, wo er sich eine Werkstatt einrichtete und ein Polyptychon für den Hochaltar der Klosterkirche schuf. 1436 zog sein Orden in das ehemalige Salvestrinerkloster San Marco in Florenz um, dort sind Manuskripte erhalten, die Fra Angelico angefertigt haben soll. Auch zahlreiche Bilder in den Zellen und Kreuzgängen werden ihm zugeschrieben.

1445 kam der Ruf nach Rom, wo Fra Angelico im Auftrag von Papst Eugen IV. die Kapelle des Santissimo Sacramento (existiert nicht mehr) mit Fresken verzierte. Anschießend malte er im Auftrag von Papst Nikolaus V. in der Cappella Niccolina Fresken, das war zwischen 1447 bis 1449, Benozzo Gozzoli arbeitete mit ihm.

Von 1449 bis 1452 wirkte Fra Angelico dann als Prior des Dominikanerklosters in Fiesole. Danach kehrte er nach Rom zurück, wo er 1455 starb und in der Kirche Santa Maria sopra Minerva beerdigt wurde. Der Engel auf der Eingangsseite ist die “Verkündigung” Fra Angelicos, von der Haupttafel eines um 1433 geschaffenen Altarretabels zum Leben Marias.


Meister des Wilton-Diptychons

ist erkennbar ein Notname, weil wir nichts über diesen Meister wissen.

Er lebte zwischen 1395 und 1399, wie weit vorher und wie lange nachher, ist unbekannt. Dass er zwischen 1395 und 1399 lebte, weiß man auch nur, weil das Wilton-Diptychon durch wissenschaftliche Untersuchung dieser Entstehungszeit zugeordnet wurde. Diptychons sind zweiteilige Gemälde, im sakralen Bereich bekannter ist das Triptychon in drei Teilen, ein häufiges Altarbild.

Man weiß, dass das Diptychon von König Richard II. von England (1367 – 1400) in Auftrag gegeben wurde, auf der Außenseite (Rückseite) ist nämlich das Wappen von Richard II. zu sehen. Und sein wirklich dekoratives Emblem, ein weißer Hirsch mit Kronenhalsband und Kette.

Wilton-Diptychon, Gesamtansicht

Wilton-Diptychon, Gesamtansicht
Technik: Tempera auf Holz
Standort: National Gallery (London)

Auf der Vorderseite des Diptychons ist natürlich Auftraggeber Richard II. dargestellt, auf dem linken Flügel, bescheiden klein und kniend. Hinter ihm stehen drei Heilige, durch ihre Attribute identifizierbar als Johannes der Täufer (erkennbar an Fellüberwurf und Lamm auf dem Arm, Richards Namenspatron); der englische König Eduard der Bekenner, 1004 bis 1066, 1161 wegen seiner nachdrücklichen Bemühungen um kranke Untertanen (nach der Legende inklusive Wunderheilung) heiliggesprochen, und Edmund von Ostanglien oder Edmund der Märtyrer, um 841 – 869, der wegen seines Todes in einer Schlacht gegen angreifende Dänen als Märtyrer und Heiliger verehrt wird.

Beide sind an ihren Hermelinmänteln und den Kronen auf den Häuptern zu erkennen, Eduard der Bekenner trägt seine Attribute Bär, Baum, Pfeil und Wolf, sie sind auf dem Mantel und in seiner Hand zu erkennen, Edmund der Märtyrer wird meist in königlichen Gewändern mit Ring (Symbol für Gemeinschaft der Christen) und Taube (Symbol für den Heiligen Geist und den Frieden) dargestellt, zumindest der Ring ist auf dem Diptychon zu sehen.

Die drei Heiligen unterstützen Richard II in seinem Anliegen, den Segen der Madonna zu erhalten, die auf dem rechten Flügel zu sehen ist. Sie hält das Jesuskind in den Händen, das den knienden König segnet, beide sind von den elf Engeln umgeben. Diese Engel haben einige Symbole bei sich, auf der linken Seite hoch oben lässt ein Engel die Flagge mit dem Sankt-Georgs-Kreuz flattern, das seit dem 13. Jahrhundert als Flagge Englands (Schutzheiliger St. Georg) gilt und noch heute die Mitte des Union Jacks bildet.

Die kleine Kugel, mit der die Fahnenstange endet, ist ein Symbol einer Weltkugel, nur Menschen mit guten Augen finden die kleine Insel England, die darauf abgebildet ist. Das Emblem Richard II., der weiße Hirsch, wurde den Engeln auch noch auf die Schulter gestickt, und der blumige Wiesenboden unter der Madonna und den Engeln ist mit den Marienblumen Rosen, Iris und Gänseblümchen bestreut, die zugleich das Paradies symbolisieren.

All diese Symbole sollen uns sagen, dass König Richard II. vom Christuskind mit England beliehen wurde. Im Zeichen des damals allgegenwärtigen Streits, ob dem weltlichen Machthaber oder der Kirche die Vorherrschaft gebührt, eine zweischneidige Symbolik: Entweder wollte Richard aussagen, dass er sich der göttlichen Macht beugt und sich göttlicher Billigung gewiss ist, oder er wollte genau andersherum klarstellen, dass der Anspruchs der Krone auf weltliche Vorherrschaft vor der Kirche “gottgegebenen” ist.

Bei der Anfertigung des Diptychons wurde an nichts gespart, die Darstellungen sind auf einem vergoldeten, mit kunstvollen Punzierungen geschmückten Untergrund aufgebracht, der Rahmen ist ebenfalls vergoldet, sogar die Haken und Ösen, mit denen die zusammenklappbaren Tafeln verschlossen werden konnten. Dafür ist das Wilton-Diptychon nicht sehr groß, jeder Flügel misst 47,5 × 29,2 cm, das ist nur eine Spur größer als ein DIN A3-Blatt.

Wilton-Diptychon heißt das Bild, weil es zeitweilig dem Earl of Pembroke gehörte, der es von 1705 bis 1929 in seinem “Wilton House” verwahrte, 1929 wurde es von der National Gallery in London erworben und ist bis heute dort zu bewundern. Die Engel des 11. Dezember zeigen die wunderschöne Arbeit des Meisters des Wilton-Diptychons.

Selbstporträt des Benozzo Gozzoli

Selbstporträt des Benozzo Gozzoli als Fresko
Standort: “Cappella dei Magi”, am Palazzo Medici Riccardi in Florenz (Italien)

Benozzo Gozzoli

wurde 1420 in Florenz geboren und starb 1497 in Pistoia nahe Florenz.

Der italienische Renaissance-Maler wurde als Sohn des Schneiders Lese di Sandro und als Benozzo di Lese di Sandro geboren; warum er Gozzoli hieß, kann nur vermutet werden, und hatte nicht unbedingt charmante Gründe: Gozzo ist im Italienischen der Kropf, oder der unergründliche Rachen, der (geschwollene) Unterleib, der (dicke) Bauch, bei so einer Benennung hilft auch die Verniedlichung zu Gozzoli nicht mehr viel …

Gozzoli lernte bei Fra Angelico, den er 1446/1447 bis 1449 nach Rom begleitete, wo er im dabei half, in der Nikolauskapelle des Vatikanpalasts (Cappella Niccolina) Fresken für Papst Nikolaus V. zu malen. Anschließend arbeitete Benozzo Gozzoli in Montefalco und fertigte z. B. eine “Himmelfahrt der Maria”, ein Gemälde, das sich heute in der Pinakothek im Vatikan befindet. 1452 malte Benozzo Gozzoli in der Kirche San Francesco in Montefalco einen Freskenzyklus über die Legende um den Heiligen Franziskus.

Etwa 1456 ging er nach Florenz, bekannt ist, dass er von 1459 bis 1461 für die Medici arbeitete, er verzierte die Kapelle des Palazzo Medici mit Fresken. Von 1463 bis 1464 malte Gozzoli einen Freskenzyklus mit 17 Szenen aus dem Leben des Heiligen Augustinus in die Kirche Sant’ Agostino in San Gimignano, Toskana.

"Death of Mary" von Benozzo Gozzoli

“Death of Mary” von Benozzo Gozzoli (1484)
Standort: Biblioteca Comunale, Castelfiorentino

Ab etwa 1468 lebte er in Pisa, wo er sein Hauptwerk anfertigte: Eine Serie von 25 Fresken mit Szenen aus dem Alten Testament, auf dem Friedhof Camposanto Monumentale, Gozzoli arbeitete rund 15 Jahre lang an dem Zyklus, bis 1483 oder 1485. Was er danach machte, ist unbekannt, nur dass er in die Heimatregion zurückkehrte, dort mit 77 Jahren starb und im Dominikanerkloster beigesetzt wurde.
Berühmt geworden ist Benozzo Gozzoli dann noch durch einige Tafelbilder, die der Nachwelt erhalten blieben: “Madonna mit vier Heiligen” von 1456 (Galleria Nazionale dell’Umbria in Perugia), “Thronende Madonna mit vier Heiligen” von 1461 (Nationalgalerie London), “Tanz der Salome” (National Gallery of Art, Washington, D. C.) und “Triumph des heiligen Thomas von Aquino” (Paris, Louvre).
"Madonna mit Kind" von Benozzo Gozzoli

“Madonna mit Kind” von Benozzo Gozzoli (etwa 1460)
Technik: Tempera auf Holz
Standort: Detroit Institute of Arts

Und durch einen Spitznamen der Italiener für eine Person, die Schamhaftigkeit heuchelt, “Vergognosa di Pisa” wird ein solcher Mensch dort genannt, vermutlich nach Benozzo Gozzolis Gemälde “Weinlese und Trunkenheit” (Camposanto zu Pisa), in dem der betrunkene und entblößte Noah von seiner Tochter durch vorgehaltene Finger betrachtet wird. Ganz sicher ist diese Herkunft des Ausdrucks aber nicht, “Noah im Rausch” ist damals ein beliebtes Motiv, wahrscheinlich hatten die Mitmenschen großes Verständnis dafür, wie schwierig es ist, alle Arten auf einem Schiff unterzubringen. Die “Anbetenden Engel” des 7. Dezember wurden von Benozzo Gozzoli geschaffen.


Friedrich Herlin

wurde um 1450 in Süddeutschland geboren, vermutlich in Rothenburg ob der Tauber, er starb um 1500 in Nördlingen.

Friedrich Herlin: Hochaltarretabel von St.Georg in Nördlingen

Friedrich Herlin: Hochaltarretabel von St.Georg in Nördlingen

Viel wissen wir nicht über den spätgotischen Maler, nur dass er in Rothenburg ob der Tauber tätig war und ab 1459 in Nördlingen lebte. Überliefert ist, dass er 1467 das Nördlinger Bürgerrecht erhielt und dort starb, irgendwann um 1500. Und dass er der Schwiegervater des bekannten Ulmer Malers Bartholomäus Zeitblom war, zumindest eine Zeit lang, denn für Zeitblom ist eine zweite Ehe überliefert, mit einer Tochter des Ulmer Malers Hans Schüchlin.

Sicher von Friedrich Herlin stammende Werke finden sich einige in Süddeutschland: In der Jakobskirche in Rothenburg Flügel am Hochaltar mit Darstellungen aus dem Marienleben, um 1466 gefertigt, in der Stadtkirche St. Blasius in Bopfingen zwei Altarflügel mit der “Geburt Christi” und der “Anbetung der Könige” von 1472, in der St. Bonifatiuskirche in Emmendingen drei Altarflügel, “Geburt Christi”, “Anbetung der Könige” und “Beschneidung” von 1473 und in St. Georg, der Stadtkirche von Nördlingen, ein vom Nördlinger Gastwirt Jakob Fuchshart und seinen Stiefsöhnen gestiftetes Triptychon.

Herlin wurde eher als Nachfolger Rogers van der Weyden bekannt (bei dem er gelernt haben soll) als für eigenständigen Stil und Ausdruck berühmt. Nur eine realistische Darstellung des lesenden Apostel Petrus mit Kneifer hat eine gewisse öffentliche Berühmtheit erlangt, weil die Betrachter sie sehr amüsant finden und die Abbildung einer Brille für die Kunst- und Kulturhistoriker interessant ist. Der Engel im Kalender stellt die “Anbetung des Christuskindes” in Friedrich Herlins “Geburt Christi” dar.


Filippino Lippi

wurde um 1457 in Prato in der Toskana geboren und ist 1504 in Florenz gestorben.

Filippino Lippi: Freskenzyklus der Brancacci-Kapelle in Santa Maria del Carmine in Florenz

Filippino Lippi: Freskenzyklus der Brancacci-Kapelle in Santa Maria del Carmine in Florenz (1481-1482)
Szene: Martyrium des Hl. Petrus
Detail: Selbstporträt des Künstlers
Standort: Santa Maria del Carmine, Cappella Brancacci

Filippino Lippi hieß zu seiner Zeit Filippo und wurde auch nie anders genannt, den “Filippino” haben ihm später die Kunsthistoriker verpasst, um ihn von seinem ebenfalls künstlerisch tätigen und ebenfalls berühmten Vater zu unterscheiden. Dabei wurde der doch Fra Filippo Lippi genannt (oder Fra Lippo Lippi), außerdem hieß er mit vollem Namen Fra Filippo Tommaso Lippi, aber nun ist es lange passiert, und man kann und sollte sich den Sohn besser als Filippino Lippi merken, er wird immer so annonciert.

Filippino Lippis Leben begann bereits ziemlich spannend: Denn sein Vater Fra Filippo Tommaso Lippi hieß wirklich Fra Filippo Tommaso Lippi, mit Betonung auf Fra – weil er als Kind Mutter und Vater verlor, trat er mit 14 Jahren ins Karmeliterkloster Santa Maria del Carmine in Florenz ein, war also ein Ordensbruder.

Er blieb dort zwar nur bis 1432, soll aber nicht von seinem Gelübde entbunden worden sein, und Biograph Giorgio Vasari weiß von romantischen Abenteuern Fra Filippos zu erzählen (die heutige Biographen allerdings bezweifeln). Auf jeden Fall soll sich Filippo der Ältere 1456 in Prato niedergelassen haben, um die Fresken im Chor des Doms zu malen. Vor Beginn dieser Arbeit soll er 1458 noch ein Bild für die Konventskapelle San Margherita in Prato begonnen haben und dabei Lucrezia Buti kennengelernt haben, schöne Frau, aber wohl auch Novizin. Lucrezia saß Filippo Modell, und er brannte mit ihr durch, das Ergebnis war dann Filippino …

Dieser Filippino wollte ebenfalls Maler werden, er lernte in der Malerwerkstatt seines Vaters und nach dessen Tod 1469 bei dessen Freund mit dem schönen Namen Fra Don Diamante. Sandro Botticelli soll ebenfalls Lehrling in der Malerwerkstatt des Vaters gewesen sein, Filippino Lippi hat ab 1472 bei ihm gearbeitet, sein Frühwerk soll Einflüsse von Botticellis Malweise und der flämischen Malerei zeigen.

"Tod der Lukrezia" von Filippino Lippi

“Tod der Lukrezia” von Filippino Lippi (4. Viertel 15. Jh.)
Standort: Palazzo Pitti (Florenz)

1482 bis 1484 arbeitete Filippino Lippi in der Brancacci-Kapelle von Santa Maria del Carmine in Florenz, er vollendete dort die Fresken Masaccios. Die Freskenmalerei wurde sein Spezialgebiet, Lorenzo I. de Medici sein Hauptauftraggeber in Florenz. Zwischendurch hielt Filippino Lippi sich immer wieder in Rom auf, um die Antike zu studieren, und 1489 bis 1493 malte er in Rom, in der römischen Kirche Santa Maria sopra Minerva erschuf er die Fresken der Carafa-Kapelle. Filippino Lippi schuf auch den Renaissance-Engel des 14. Dezember, der heute in Washington D.C. in der National Gallery of Art zu bewundern ist.


Carlo Crivelli

wurde um 1430/1435 wahrscheinlich in Venedig geboren und starb 1500 in der Regione Marche.

Carlo Crivelli: Hl. Franz von Assisi fängt das Blut Christi aus den Wundmalen auf

Carlo Crivelli: Hl. Franz von Assisi fängt das Blut Christi aus den Wundmalen auf (etwa 1480-1486)
Technik: Tempera auf Holz
Standort: Museo Poldi Pezzoli (Mailand, Italien)

Wie die obigen Geburtsdaten schon andeuten, wissen wir nicht viel über Carlo Crivelli. Der Maler regt jedoch ungemein zur Forschung an, einmal durch sein herausragendes Werk, das in ungewöhnlich vielen Kunstwerken bis zu uns überdauert hat, und dann durch die Tatsache, dass er uns Dokumenten und zahlreiche Unterschriften auf seinen Werken hinterlassen hat, aus denen sich wie in einer Art Puzzle sein Leben zusammensetzen lässt. Folgendes wurde herausgefunden:

Carlo Crivelli wurde als Sohn des Malers Iachobus de Chriveris geboren, der in Venedig in der Pfarrgemeinde von San Moisè wohnte. Er hatte einen jüngeren Bruder Vittore und vielleicht noch einen weiteren Bruder namens Ridolfo dal Ricci. Crivelli muss zwischen den Jahren 1430 und 1435 geboren worden sein, weil er am 7. März 1457 zu sechs Monaten Gefängnis und 200 Lire Bußgeld verurteilt wurde, dazu musste er volljährig gewesen sein. Die Strafe bekam er für die Entführung der Frau eines venezianischen Seemanns, in die er sich verliebt hatte, dieser Ehebruch war ein Skandal und wahrscheinlich der Grund dafür, dass Crivelli Venedig verließ und nie wieder dorthin zurückkehrte.

Crivelli war wohl ursprünglich Lehrling bei Antonio Vivarini, Giovanni d´Alemagna und Bartolomeo Vivarini, der ihn mit der zeitgenössischen paduanischen Malerei vertraut machte. Diese prägte sein Frühwerk, von den frühen Werken aus Venedig ist jedoch kein einziges erhalten. Nach der Verhaftung 1457 ging der Künstler nach Padua, freundete sich mit Giorgio Schiavone an und folgte diesem nach Zara in Dalmatien, damals unter venezianischer Herrschaft. Von da aus ging Crivelli in die Marken, wo er 1469 in Ascoli in den nächsten Konflikt und Prozess geriet, aber auch malte, z. B. das Altarbild Polittico di Porto San Giorgio für die Kirche von San Giorgio. Der Streit ging wohl gut aus, 1473 wurde Crivelli in Ascoli sesshaft, heiratete und malte eifrig Altarbilder, auch in den umliegenden Städten.

"La Madonna della Rondine" von Carlo Crivelli

“La Madonna della Rondine” von Carlo Crivelli (nach 1490)
Standort: National Gallery (London)

Crivelli wagte als fortgeschrittener Künstler einige Neuheiten, eine neue Struktur des Altarbilds zum Beispiel, vielleicht häuften sich deshalb seine Aufträge von außerhalb. In seinen letzten Lebensjahren war Crivelli ständig unterwegs zwischen Camerino, Matelica, Fabriano und Pergola. Er wurde von Ferdinando di Aragona, Prinz von Capua und künftiger König von Neapel, mit dem Titel “miles” ausgezeichnet, mit dem er seitdem seine Werke signierte. Durch diesen Ehrentitel geriet er in politisch begründete Schwierigkeiten, weshalb er in seinen letzten Jahren von Ort zu Ort zog. Crivelli soll in Fermo gestorben und in der Kirche von San Francesco begraben liegen, sicher ist das nicht, Ascoli und viele andere Orte werden auch genannt.

Sicher ist aber, dass Carlo Crivelli zu den ersten Malern gehörte, die eine völlig eigenständige Bildersprache entwickelten, faszinierend und von eindringlicher Wirkung. Er malte mit Vorliebe Dekorationen und prachtvolle Ornamente, fügte aber auch überraschende Elemente wie Gurken ein, die seine Werke fast surrealistische wirken lassen.

Carlo Crivellis Engel des 5. Dezember entstand 1486, zeigt ein Detail aus “Maria Verkündigung”, und enthält tatsächlich eine Gurke, viel Spaß beim Suchen!


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Weitere tolle Infos zu diesem Thema gibt es hier:
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Kleines Weihnachtsgeschenk – Engelskünstler zum Kennenlernen (Teil 2)

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Teil 2 – 1476 bis 2013

Hugo van der Goes

wurde um 1440 in Gent geboren und starb 1482 im Rood-Klooster bei Brüssel.

Der flämische Maler Hugo van der Goes hat Großes vollbracht, obwohl sein Leben nicht viel länger als vier Jahrzehnte währte – er gilt als einer der Hauptmeister der altniederländischen Malerei der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Hugo van der Goes wird für Historiker zum ersten Mal am 4. Mai 1467 fassbar. An diesem Tag wurde er in die Genter „Malergilde Lucas“ als Meister aufgenommen, Justus van Gent ist als sein Zeuge und Bürge überliefert.

"Lamentation" von Hugo van der Goes

“Lamentation” von Hugo van der Goes (15. Jh.)
Standort: Hermitage Museum in St. Petersburg (Russland)

Lukasgilden waren die zunftartigen Bruderschaften der künstlerischen Berufsstände, die sich im 15. Jahrhundert vor allem in den Niederlanden entwickelten. Wer dort Meister werden wollte, musste das Bürgerrechts der betreffenden Stadt, manchmal Grundbesitz und gewöhnlich auch seinen Ehestand nachweisen, von einer Frau van der Goes ist jedoch nie die Rede.

Möglicherweise war der Maler zu dieser Zeit bereits derart in einer sakralen Bruderschaft engagiert, dass die Forderung nach einer Ehe obsolet wurde, vielleicht hatte er damals aber auch eine Frau, von der keine Kunde bis in die heutige Zeit drang. Die Einschreibung als Meister war jedenfalls eine hohe Ehre und außerdem Voraussetzung, um höhere politische und wirtschaftliche Gildeämter belegen zu können.

Hugo van der Goes war deshalb sicher schon vor dieser Aufnahme in die Zunftgilde als Maler tätig, irgendwelche Zeugnisse früherer Werke des frischgebackenen Meisters sind jedoch nicht überliefert. Die Mitgliedschaft in der Gilde zahlte sich schnell aus, 1468 erhielt Hugo van der Goes den Auftrag über die Festdekoration der Stadt Brügge für die Hochzeitsfeier von Karls dem Kühnen mit Margareta von York, er arbeite dabei mit Gildemeister Jacques Daret aus Tornai und anderen Künstlern der Gilde zusammen.

Von 1474 bis Herbst 1476 nahm Hugo van der Goes das Amt des Dekan in der Malergilde war. Bereits 1475 trat er auch ins Rood-Klooster der Augustiner in der Nähe von Brüssel ein, gab aber die Tätigkeit als Maler als Augustinerbruder nicht auf, so ist ein Besuch des späteren Kaisers Maximilian im Kloster belegt, der Gemälde bestellte. Wie wissen aus solchen Überlieferungen, dass Hugo van der Goes bereits zu Lebzeiten berühmt wurde und seine Arbeiten hochgeschätzt waren. Alle erhaltenen Arbeiten waren Aufträge von wohlhabenden Bürgern oder Angehörigen des Adels.

Hugo van der Goes - Hl. Anna Selbdritt mit einem franziskanischen Stifter

Hugo van der Goes – Hl. Anna Selbdritt mit einem franziskanischen Stifter (1475)
Musées Royeaux des Beaux-Arts de Belgique (Brüssel, Belgien)

Aus der Hoch-Zeit der Karriere des Meisters, den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts, blieben uns mehrere großartige Arbeiten erhalten: Der “Monforte-Altar”, der “Hippolytus-Altar”, ein “Marientod” und ein “Marien-Altärchen”, das “Portinari-Triptychon”, das “Wiener Diptychon” und eine “Anbetung der Hirten”.

Dennoch zog sich der Meister aus der Mitte der Gesellschaft ins Kloster zurück, von einer Reise nach Köln 1481 ist ein Anfall mit Selbstmordabsichten belegt, nach der Rückkehr ins Kloster verzichtete er auf alle Privilegien und Vorzüge und verstarb 1482 an unbekannter Ursache, er wird vermutet, dass er durch seinen künstlerischen Erfolg wahnsinnig geworden sei.

Die Engel des 24. Dezember sind ein Detailbild aus dem Portinari-Altar, Detail, geschaffen zwischen 1475 und 1478, das Triptychon ist heute in den Uffizien in Florenz zu besichtigen.

Pietro Perugino

wurde 1446 bis 1452 in Città della Pieve (Perugia) geboren und starb 1523 in Fontignano nahe Città della Pieve.

“Il Perugino” (“der aus Perugia”) hieß eigentlich Pietro Vannucci, sein Vater Cristoforo Vannucci gehörte zu den reichsten Männern im Umkreis.

Wahrscheinlich begann Pietro Perugino in lokalen Werkstätten mit dem Studium der Malerei, vielleicht bei Bartolomeo Caporali oder Fiorenzo di Lorenzo. Irgendwann zwischen 1466/1470 und 1479 ging er nach Florenz in die Werkstatt von Andrea del Verrocchio, wo er zusammen mit Leonardo da Vinci, Domenico Ghirlandaio, Lorenzo di Credi, Filippino Lippi und weiteren ausgebildet wurde.

Pietro Perugino - Selbstportrait

Pietro Perugino – Selbstportrait

Das ist (ohne genauere Zeitangaben) dem Bericht seines Biographen Giorgio Vasari zu entnehmen, auch soll er laut Vasari bei Piero della Francesca die Kunst der perspektivischen Darstellung studiert haben. 1492 soll seine Lehre bei Verrocchio geendet haben, ab diesem Jahr ist er nämlich als Mitglied der Zunftgilde der Maler überliefert.

Bei seinen Zeitgenossen bekannt wurde Perugino schon lange früher, 1481 entstand “Consegna delle chiavi a Pietro” (“Christus übergibt Petrus die Schlüssel”), ein mächtiger 3,35 × 5,50 m großer Teil des Wandfreskenzyklus in der Sixtinischen Kapelle des Vatikans.

An diesem Freskenzyklus wirkten die zur damaligen Zeit bekanntesten Maler Italiens mit, der “Christus” gilt als Peruginos bekanntestes Gemälde. Die perspektivische Tiefe des Gemäldes beeindruckte Peruginos Zeitgenossen gewaltig, er wurde mit diesem Bild zum berühmtesten Maler des Landes.

Pietro Perugino soll in Folge Ateliers in Perugia und Florenz unterhalten haben, in denen er eine Art Massenproduktion begonnen haben soll, hauptsächlich der beliebten Marienbildnisse. Was ihn jedoch nicht daran hinderte, unvergessene Kunstwerke zu schaffen:

1485 entstand die “Kreuzigung Jesu” über dem inneren Eingang der Kapelle Portiuncula (offiziell Santa Maria degli Angeli) in Assisi. Einer berühmten Kapelle, weil dort am 3. Oktober 1226 Francesco Bernardone (besser bekannt als Heiliger Franziskus oder Franz von Assisi) verstarb, seine hinterlassenen Gefährten gründeten daraufhin den Franziskaner-Orden.

"St. Sebastian an eine Säule gefesselt" von Pietro Perugino

“St. Sebastian an eine Säule gefesselt” von Pietro Perugino (1500-1510)
Standort: São Paulo Museum of Art

Zwischen 1489 und 1493 erschuf Perugino die “Vision des Heiligen Bernhard”, von 1493 bis 1497 arbeitete er an einer “Kreuzigung” in Santa Maria Maddalena dei Pazzi in Florenz, zwischen 1496 und 1500 fertigte er ein Polyptychon in San Pietro in Perugia und (jetzt sind die Teile verteilt auf Museen in den französischen Städten Nantes, Rouen und Lyon und im Vatikan zu sehen), von 1497 bis 1500 Fresken im Collegio del Cambio in Perugia.

Perugino wird heute als wichtigster Meister der Umbrischen Schule der Renaissance-Malerei betrachtet. Ein noch größerer Verdienst ist vielleicht, dass er dem legendären Raffael sein Können weitergegeben hat, der bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als der größte Maler überhaupt galt.

Im Frühwerk des jungen Raffael ist Peruginos Einfluss deutlich zu spüren. Der Engel des 20. Dezember ist der Erzengel Michael aus “Maria Himmelfahrt mit vier Heiligen”, erschaffen im Jahr 1500 für die Klosterkirche von Vallombrosa, heute in den Uffizien Florenz.

Meister der Kölner Ursula-Legende

(oder Kölner Meister der Ursula-Legende) ist nur ein Notname.

Von diesem spätgotischen Maler der Altkölner Malschule, der von 1480 (1489/90) bis 1510/15 in Köln wirkte, wissen wir also noch nicht einmal seinen Namen. Auch vom Ursula-Zyklus, den er für die Kölner Severinskirche gestaltet hat, sind nicht alle Darstellungen der Legende der hl. Ursula erhalten. Der Meister hat der Ursula-Legende mindestens 19 Gemälde gewidmet, von denen ein Teil im Zweiten Weltkrieg zerstört und ein Teil verschollen ist. Was überdauert hat, ist heute auf verschiedene Museen Europas verteilt.

Da sein Werk eine enge Beziehung zur niederländischen Malerei der damaligen Zeit zeigt, stammte der Meister möglicherweise dorther oder war zumindest lange in den Niederlanden tätig. Sein Wirken in Köln ist jedoch durch die Werke in der Severinskirche sicher, deshalb befinden sich heute acht seiner Werke im Kölner Wallraf-Richartz-Museum. Weiter wird noch ein Flügelaltärchen diesem Meister zugeordnet, Teil eines Marienaltars, das sich heute in der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden befindet.

Taufe der heiligen Ursula Meister der Ursula-Legende, Köln, zwischen 1492 und 1495

Taufe der heiligen Ursula Meister der Ursula-Legende, Köln, zwischen 1492 und 1495
von Schubbay [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Der Meister der Kölner Ursula-Legende wird deshalb so genannt, weil er nicht der einzige Meister ist, der erhaltene und erhaltenswerte Szenen aus der Ursula-Legende malte und namentlich unbekannt blieb. Auch in Brügge nahm sich ein Meister der Heiligen Ursula an, der heute als Brügger Meister der Ursulalegende, Meister der Brügger Ursulalegende oder flämische Meister der Ursula-Legende geführt wird. Dieser spätgotische Maler aus Flandern malte bereits um 1485 Altarbilder mit Darstellungen der Ursula-Legende für das Kloster der Schwarzen Schwestern in Brügge (datierbar aufgrund von Bildern der damaligen Stadt Brügge im Hintergrund).

Obwohl die heilige Ursula zu Köln einen engeren Bezug hat als zu Brügge: Die britannische Königstochter hatte ihr Leben Christus geweiht und sollte von einem heidnischen König trotzdem verheiratet werden. Sie erbat sich davor eine dreijährige Frist, begab sich auf eine Schiffsreise und hatte in Köln eine Erscheinung, in der ein Engel sie anweist, nach Rom zu pilgern (und ihr den Märtyrertod prophezeit).

Ursula gehorcht und kommt auf dem Rückweg wieder in Köln vorbei, das inzwischen von den Hunnen belagert wird. Ursulas Begleiterinnen werden ermordet, Ursula selbst soll zur Frau des Hunnenfürsten werden, als sie verweigert, tötet er sie. Ein grober Fehler: Elftausend Engel erscheinen nun und schlagen die Hunnen in die Flucht, die Bürger Kölns errichten der heiligen Ursula daraufhin zum Dank eine Kirche und machen sie zur Schutzpatronin der Stadt.

Der Engel des 22. Dezember, die “Erscheinung des Engels” gehört zum gegen 1500 geschaffenen Ursula-Zyklus des Kölner Meisters und ist heute im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu besichtigen.

Domenico Beccafumi

wurde um 1486 in der Nähe von Siena geboren, vermutlich in Montaperti (gehört heute zu Castelnuovo Berardenga), er starb am 18. Mai 1551 in Siena.

Wieder ein Künstler mit mehreren Namen, Domenico hieß bei seiner Geburt als Sohn des Bauern Giacomo di Pace Domenico di Pace. Der Bauer arbeitete für Lorenzo Beccafumi, auch sein Sohn trat in dessen Dienst. Beccafumi erkannte früh die künstlerische Begabung des Jungen, adoptierte Domenico und schickte ihn zur Ausbildung nach Siena. Dort lernte er beim regional bekannten Künstler Mechero, deswegen soll er von seinen Zeitgenossen “il Mecherino”, der kleine Mechero, genannt worden sein (andere sind der Meinung, dieser Spitzname leite sich von seiner kleinen Statur ab).

Domenico Beccafumi - Inferno, Detail: Verdammter (1526-1530)

Domenico Beccafumi – Inferno, Detail: Verdammter (1526-1530)
Standort: San Nicolò al Carmine (Siena, Italien)

1509/1510 ging Domenico Beccafumi nach Rom, um die neuesten Entwicklungen in der Malerei zu studieren – in Siena war man eher konservativ eingestellt und arbeitete nach traditionellen Prinzipien. In Rom konnte Domenico die revolutionären Neuerungen studieren: Raffael und seine Schüler hatten 1508 mit den “Stanzen” (italienisch stanza = Zimmer) begonnen, der von Papst Julius II. beauftragten malerischen Ausgestaltung der vier Papst-Gemächern im zweiten Stock des Apostolischen Palastes, die unter Papst Leo X. bis 1524 fortgeführt wurde.

Zur gleichen Zeit hatte Michelangelo mit den Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle begonnen, die Themenreihe entlang des Gewölbes-Zentrums war September 1510 fertiggestellt, Beccafumi konnte die Arbeiten höchstwahrscheinlich besichtigten. Außerdem soll er in Rom antike Werke und Bilder Florentiner Renaissance-Maler studiert haben.

Beccafumi kam aber recht schnell wieder nach Siena zurück, wo er er eine Reihe öffentlicher Aufträge erhielt, 1513 malte er z. B. Fresken für die Kapelle des städtischen Hospitals von Siena, Santa Maria della Scala, die “Begegnung Joachims mit Anna”. Auch eine Reihe von Arbeiten für private Auftraggeber sind belegt, wie Fresken an der Fassade des Palazzo Borghesi. Von beiden Aufträgen sind jedoch lediglich die Entwurfszeichnungen erhalten, andere Frühwerke Beccafumis aus den Anfängen in Siena oder seiner Zeit in Rom sind nicht erhalten.

Erst gegen Ende dieses Jahrzehnts sind Beccafumis Aufträge besser belegt: 1519 erhielt Beccafumi “den Auftrag seines Lebens”, die Ausgestaltung des Marmorbodens im Dom von Siena, mit der er bis zu seinem Tod beschäftigt war. Seitdem arbeitete Beccafumi weiter für die Kommune Siena und für private Auftraggeber, ebenfalls hauptsächlich in Siena, gefragter “Prominenten-Maler” (Hofmaler an einem der italienischen Fürstenhöfe) wurde er nie, Auftragsarbeiten aus anderen Teilen Italiens wie 1540 beim Admiral Andrea Doria in Genua waren selten.

Die meisten der von Beccafumi erhaltenen Werke sind deshalb auch in Siena zu bewundern, ein Altarbild (“Moses zertrümmert die Gesetzestafeln”) von 1537 befindet sich im Dom zu Pisa, zwei seiner “Heiligen Familien” sind in Florenz zu bewundern, in den Uffizien und im Palazzo Pitti, die “Madonna mit dem Jesuskind und dem Johannesknaben” ziert den Palazzo Barberini in Rom.

Beccafumi wird vorgeworfen, dass er im Gegensatz zu anderen Sieneser Künstlern von seinem Aufenthalt in Rom nicht viel mitgenommen hätte. Während Il Sodoma und Baldassare Peruzzi beispielsweise von ihrem Rom-Aufenthalt alle Nuancen der führenden Künstler der Zeit aufgenommen hätten, sei Beccafumi in seiner Malweise provinziell geblieben.

Dabei war Beccafumi vielleicht heimatverbunden, aber durchaus ein Künstler, der eine eigenständige und manchmal auch eigenwillige Kreativität entwickelte. Vielleicht hat er sich aus bewusster Entscheidung vom herrschenden manieristischen Trend nur wenig beeinflussen lassen, wenn seinen Arbeiten eine ganz eigene Exzentrizität mit manchmal traumhaften, emotionalen Details zugesprochen wird.

Domenico Beccafumi - Allegorischer Freskenzyklus

Domenico Beccafumi – Allegorischer Freskenzyklus (Politische Tugenden) aus dem Plazzo Pubblico in Siena, Szene: Das Opfer des Codrus, König von Athen (1532-1535)

Seine Darstellungen unterscheiden sich auch in der Tonalität von den häufig ziemlich bunten Werken der klassischen römischen Meister. Beccafumi bevorzugt eher zarte, sehr natürlich wirkende Farben, führt einen nicht unbedingt ordentlich linearen, sondern gerne einmal leicht “gezackten” Zeichenstrich, hüllt seine Bilder gerne in leichten Nebel und malt sanfte Übergänge, im Gegensatz zur festumrissenen Klarheit der Bilder der angesagten Meister seiner Zeit. Außerdem war er sehr vielseitig, er malte nicht nur, sondern experimentierte mit verschiedenen Holzschnitttechniken, arbeitete als Bildhauer (Reiterstatue Kaiser Karls V., Engel-Skulpturen im Dom von Siena) und war als Illustrator von Handschriften tätig.

Der Engel des 17. Dezember gehört zur “Verkündigung”, die Domenico Beccafumi 1545/1546 für die Kirche San Martino in Siena schuf.

Tizian

wurde wahrscheinlich zwischen 1488 und 1490 (a. A. um 1477) in Pieve di Cadore bei Belluno (Republik Venedig) geboren und 1576 in Venedig gestorben.

Tizian, Selbstportrait (zwischen 1565 und 1570)

Tizian, Selbstportrait (zwischen 1565 und 1570)
Standort: Museo del Prado (Madrid, Spanien)

Tizian hieß eigentlich Tiziano Vecellio, oder er wurde zu Lebzeiten nach seinem Geburtsort “Tiziano da Cadore” (aus Cadore) genannt, oder auch „die Sonne unter den Sternen“ – sein Talent machte schon früh von sich reden. Den Nachgeborenen gilt der Maler als führender Vertreter der venezianischen Malerei im 16. Jahrhundert, und als einer der Hauptmeister der italienischen Hochrenaissance überhaupt, “Tizian” reicht dem Kunstliebhaber, um zu wissen, wer gemeint ist.

Tiziano Vecellio war das älteste von vier Kindern einer wohlhabenden Familie des niederen Adels, sein Vater Gregorio war der leitende Geistliche am Schloss von Pieve, sein Großvater hatte eine Leitungsfunktion in der Stadtverwaltung. Es ist belegt, dass das Talent des kleinen Tizian und seines Bruders Francesco schon früh auffiel, bereits mit neun Jahren wurde Tizian zu einem Onkel nach Venedig geschickt, der eine künstlerische Lehrstelle für ihn suchen sollte.

Tizian und Francesco wurden zunächst vom Mosaikmaler Sebastiano Zuccato ausgebildet, der die Brüder anschließend an die Werkstatt der bekanntesten Maler Venedigs vermittelte. Während seiner Lehrzeit in der Werkstatt von Gentile und Giovanni Bellini bekam Tizian Kontakt mit anderen Malern, u. a. Giorgione.

Ein Glück für den damals noch sehr jungen Tizian, 1507 erhielt der schon ziemlich bekannte Giorgione einen Auftrag von der Stadt Venedig, die äußeren Fresken des gerade nach einem Brand wiedererrichteten Fondaco dei Tedeschi (Deutsche Handelsbörse) zu gestalten. Giorgione selbst bemalte die Fassade, die Schüler Tizian und Morta da Feltre die weniger prestigeträchtigen Seiten, die hier niedergelegte und von den Zeitgenossen hochgelobte “Arte Moderna” war der berufliche Durchbruch für Tizian, mit etwa 17 Jahren war er ein gefragter Künstler.

Tizian: Presentation of the Virgin at the Temple (zw. 1534 und 1538)

Tizian: Presentation of the Virgin at the Temple (zw. 1534 und 1538)
Standort: Gallerie dell’Accademia (Venedig, Italien)

1507 war Gentile Bellini verstorben, 1510 starb der inzwischen zum Rivalen gewordene Giorgione, 1513 eröffnete Tizian in Venedig seine eigene Werkstatt, der Tod Giovanni Bellinis im Jahr 1516 befreite Tizian vom letzten ernstzunehmenden Rivalen der venezianischen Schule. Tizian entwickelte sich von dieser günstigen Position aus zu einem weltweit gefeierten Künstler, er sollte für die nächsten sechzig Jahre der nicht angezweifelte Hauptmeister venezianischer Malerei in der kulturellen Welt der Zeit bleiben.

Tizian erwarb in den Anfängen seines zweiten Lebensjahrzehnts mehrere städtische Privilegien, die ihn u. a. dazu berechtigten, Arbeiten seiner berühmten Lehrmeister zu beenden, wie Bellinis Gemälde im Großen Ratssaal der Stadt Venedig. Er schloss auch geschickte Verträge mit der Stadt Venedig, fixes Salär und Steuerbefreiung gegen die Verpflichtung, alle Dogen zum Festpreis zu porträtieren.

Tizian: Ecce Homo (1543)

Tizian: Ecce Homo (1543)
Standort: Kunsthistorisches Museum (Wien, Österreich)

Der Aufstieg war nicht mehr zu bremsen, Tizian porträtierte die prominenten Gestalten seiner Zeit und fertigte Auftragsarbeiten für sie, heiratete 1525, zog in den damals wohl vornehmsten Stadtteil Venedigs, wurde 1533 von Kaiser Karl V. zum Hofmaler berufen und in den Adelsstand erhoben (zuvor soll Tizian zwei sehr schmeichelhafte Portraits des Kaisers gemalt haben).

Seit 1542 wollte Papst Paul III. Tizian in Rom sehen, der inzwischen eine solche Prominenz erreicht hatte, dass er es erst 1545 nötig hielt, dem Ruf zu folgen; 1548 und 1550 begleitete Tizian die Kaiser Karl V. und Sohn Philipp II. auf die Reichstage zu Augsburg, während seiner letzten Lebensjahre bis 1576 arbeitete Tizian hauptsächlich für Kaiser Philipp II. Tizian starb in hohem Alter 1576 an der Pest, als wohl erfolgreichster Maler, den die venezianischen Geschichte hervorbrachte.

Tizians “Karriere” erinnert sehr an die eines heutigen Elite-Zöglings, mit Unterstützung seit Geburt, Zugang zur richtigen Ausbildung und zu den richtigen Kreisen, sogar “moderne Marketingmethoden” wie die werterhöhende Signatur seiner Gemälde und Massenproduktion von Stichen wusste Tizian einzusetzen, und Glück (wenn man den zeitlich passenden Tod von Rivalen so nennen kann), war sicher auch einiges dabei.

Tizian: Christ and the Good Thief (ca. 1566)

Tizian: Christ and the Good Thief (ca. 1566)
Standort: Pinacoteca Nazionale di Bologna (Italien)

Aber (geburtsunabhängiges) Talent und Weiterentwicklung des eigenen Können waren mitbeteiligt an Tizians Erfolg: Er war ein vielseitiger Maler, vor allem für seine häufig allein auf religiöse Themen beschränkte Zeit, er malte auch Porträts und Landschaften und mythologische Motive, griff sogar Themen der irdischen Liebe auf. Er erfand für sein Werk eine charakteristische und ausgeprägte Farbigkeit, setzte als einer der ersten Maler in Italien moderne Ölfarben ein, und er fand in mehreren Umbrüchen und Krisen zu seinem eigenen, von der Kindheit in den Dolomiten geprägten plastischen Stil.

Der Engel des 1. Dezember ist der “Verkündigungsengel” aus Tizians 1520 – 1522 entstandener “Auferstehung Christi” für die Kirche San Nazzaro e Celso in Brescia.

Bayerischer Meister

wird der unbekannte Künstler genannt, der um 1500 die “Verkündigung an Maria” in einer Größe von 107 × 80,5 cm im spätgotischen Stil auf Holz malte.

Bayerischer Meister: Verkündigung an Maria (etwa 1500)

Bayerischer Meister: Verkündigung an Maria (etwa 1500)
Standort: Kunsthaus Zürich (Schweiz)

Vom Künstler wissen wir nichts, er hat uns weder seinen Namen noch Lebensdaten hinterlassen, aber eine Menge Symbole auf seinem Bild, die uns einiges erzählen: Der Engel, der Maria den Topf mit Blumen überreicht, ist der Erzengel Gabriel – der Engel der Auferstehung, der Gnade und der Verkündigung, wenn er in der christlichen Kunst als weibliches Wesen auftritt.

Wenn Gabriel in männlicher Gestalt dargestellt wird, gilt er als Bote Gottes, der Visionen erklären kann. Nach der christlichen und der jüdischen Auffassung ist er außerdem Vorsteher der Cherubim (geflügelte Mischwesen aus Tier und Mensch, die Schutzfunktionen wahrnehmen oder Gott dienen) und Seraphim (Engel mit sechs Flügeln, die um Gottes Thron fliegen und dabei “Heilig, heilig, heilig” rufen). Gabriel – Ǧibrīl, Dschabrāʾīl, Ǧabrāʾīl – nimmt auch im Islam als Übermittler der Offenbarung an den Propheten Mohammed eine wichtige Rolle ein.

Im Topf, den der Verkündigungsengel überreicht, befinden sich weiße Lilien, im Christentum Symbol für die reine, jungfräuliche Liebe. Nicht irgendwelche weißen Lilien hat der Meister hier gemalt, sondern die Art “Lilium candidum” in der botanischen Gattung der Lilien, die Madonnen-Lilie. Wenn Gabriel die Geburt Jesu an Maria verkündet, ist die Madonnenlilie sein Attribut, die er wie hier im Bild des bayrischen Meisters auf oder in den Händen trägt. Weiter kann er noch – wie hier – eine Schriftrolle bei sich haben, oder eine Posaune, oder sein erhobener Zeigefinger weist auf die Verkündigung hin.

Ein weiteres Symbol, das der Bayerische Meister uns an die Hand gibt, ist der Vogel im Käfig. Er symbolisiert die Kraft des Denkens, die die Seele im Körper erhebt und sich ausbreiten lässt und dem Menschen zu bedachter Rede verhilft. Der Engel des 16. Dezember verkündet auf der “Verkündigung an Maria” der Gottesmutter die Geburt Jesu, das Gemälde ist heute im Kunsthaus Zürich zu besichtigen.

Rembrandt

wurde am 15. Juli 1606 in Leiden geboren und starb am 4. Oktober 1669 in Amsterdam.

Rembrandt ist der Vorname des mit bekanntesten und bedeutendsten niederländischen Barock-Künstlers Rembrandt Harmenszoon van Rijn, der 1606 als achtes von neun Kindern des Müllers Harmen Gerritszoon van Rijn und der Bäckerstochter Neeltgen Willemsdochter van Zuytbrouck geboren wurde.

Nach Grundschule und Lateinschule, mit Unterricht in Biblischer Geschichte, Lesen der Klassiker und Rhetorikunterricht, schrieb sich Rembrandt 1620 an der philosophischen Fakultät der Leidener Universität ein, brach das Studium jedoch schon nach kurzer Zeit ab, um Maler zu werden.

Rembrandt - Selbstportrait (1640)

Rembrandt – Selbstportrait (1640)
Standort: National Gallery in London (England)

Rembrandt wurde Schüler beim Leidener Historienmaler Jacob Isaacsz van Swanenburgh, der in Italien geschulte Lehrer vermittelte ihm von 1620 bis 1624 die Grundlagen der Malerei und die eigenen Schwerpunkte, Architekturmalerei und szenische Darstellungen der Hölle; die während dieser Ausbildung gemalten Höllenfeuer sollen für Rembrandts Meisterschaft in der Darstellung von Licht und Schatten auf seinen Gemälden verantwortlich sein.

Danach trat Rembrandt eine halbjährige Lehrzeit beim berühmten Historienmaler Pieter Lastman in Amsterdam an, die ihn stärker geprägt haben soll als die Jahre bei van Swanenburgh. Der Historienmalerei wurde damals der höchste Rang unter allen Gattungen der Malerei zugebilligt, und Lastman führte seinen Schüler gründlich in das Thema ein.

Mit nachhaltigem Erfolg, 1625 eröffnete Rembrandt in Leiden sein erstes Atelier und zog mit seiner Malerei bald Aufmerksamkeit auf sich. So viel Aufmerksamkeit, dass der Sekretär des Statthalters der Vereinigten Niederlande (Vorläufer der heutigen Niederlande) Ende 1628 begann, den Künstler zu unterstützten und ihm Aufträge zu vermitteln, 1629 und 1630 konnte Rembrandt sogar Bilder an den englischen König verkaufen.

Rembrandt: Moses Smashing the Tablets of the Law (1659)

Rembrandt: Moses Smashing the Tablets of the Law (1659)
Standort: Gemäldegalerie, Berlin (Deutschland)

Rembrandt gab daraufhin 1631 das Leidener Atelier auf und zog nach Amsterdam, wo er sich mit dem Erlös der Königs-Bilder in die große und bedeutende Werkstatt des Kunsthändlers Hendrick van Uylenburgh einkauft. In der hauptsächlich durch Kopieherstellung und Restaurierung florierenden Werkstatt konnte Rembrandt schnell Porträtaufträge von reichen Kaufleuten einholen, Statthalter Friedrich Heinrich kaufte vermittelt durch seinen Sekretärs Gemälde und gab einen Passionszyklus in Auftrag, 1632 malte Rembrandt 30 Gemälde und war finanziell ein gemachter Mann – mit 26 Jahren.

Einige Voraussetzungen für die Aufnahme in die Amsterdamer Gilde (Bedingung für eine Selbständigkeit in der Stadt) fehlten Rembrandt noch und wurden in den nächsten Jahren erfüllt, von der Arbeit in der Werkstatt eines anderen Meisters bis zum Eintritt in den Stand der Ehe; letzteren vollzog Rembrandt 1634, praktischerweise mit der Nichte seines Kunsthändlers und Tochter eines reichen Patriziers, noch im selben Jahr trat er in die Lukasgilde ein.

Die Engel des 12. Dezember wurde von Rembrandt geschaffen, “Jakobs Kampf mit dem Engel” von 1659, das weitere Schicksal Rembrandt wird gleich im Text zum Engel des 15. Dezember beschrieben.

Rembrandt

war 1634 in die Lukasgilde aufgenommen worden und schien damit ausgesorgt zu haben, sein Aufstieg wurde im Text zum Kalenderbild des 12. Dezember geschildert, so geht es weiter:

Rembrandt durfte als selbstständiger Meister jetzt Schüler und Lehrlinge aufnehmen, ausbilden und für sich arbeiten lassen, er malte und verkaufte weiter und zog bald darauf mit seiner Frau ins eigene Haus um. Das war 1635, neben seiner Tätigkeit als Künstler begann Rembrandt nun auch den Handel mit Kunstwerken und fing an, verschiedenste historische und wissenschaftliche Preziosen, seltene Pflanzen, Tiere und Exotika (teure Gegenstände aus fernen Ländern) zu sammeln.

Was sich liest wie die Bilderbuch-Karriere eines Neureichen, der den Hals nicht vollkriegen kann, ging zunächst auch ziemlich typisch für eine solche weiter: 1638 hatte Rembrandt das Erbe seiner Frau von rund 40.000 Gulden durchgebracht. Vielleicht prassten auch beide Eheleute, es war jedenfalls Saskia Rembrandt, die von ihren Verwandten wegen Verschwendung gerügt wurde, worauf Rembrandt die Verwandten seiner Frau wegen Beleidigung verklagte.

Rembrandt: The Holy Family with Angels (1645)

Rembrandt: The Holy Family with Angels (1645)
Standort: Hermitage Museum, St. Petersburg (Russland)

Vielleicht unter Geltendmachung von Schmerzensgeld, Rembrandt kaufte auf jeden Fall am 5. Januar 1639 ein neues Haus, ein richtiges großes Stadthaus, für dass er auch noch einen Kredit aufnahm, der in fünf, sechs Jahren abgezahlt sein sollte.

Der Weg in den Abgrund, den Verschwendung und Kredit für die Großimmobilie eingeleitet hatten, wurde nun durch einen Schicksalsschlag nach dem anderen beschleunigt: Schon Rembrandts erster Sohn hatte 1635 nur wenige Monate überlebt, im Jahr des Beleidigungsprozesses war die erste Tochter kurz nach der Geburt gestorben, 1640 starb nicht nur Rembrandts zweite Tochter kurz nach ihrer Taufe, sondern einen Monat später auch noch die Mutter Rembrandts. 1641 kam dann zwar Sohn Titus zur Welt, dafür starb im Juni 1642 dessen Mutter, Rembrandts Ehefrau Saskia.

Während der Zeit vor Saskia Tod hatte Rembrandts trotz aller Verluste eine hohe Produktivität aufrecht erhalten können, der Tod seiner Frau war nun ein zu tiefer Einschnitt, seine künstlerische Aktivität ließ deutlich nach. Dazu kam die Sorge um den kleinen Sohn, verbunden mit der Einstellung zweier Kinderfrauen, Liebesbeziehungen Rembrandts zu diesen, anschließendem Streit unter den Frauen und Gerichtsverfahren rund um die Frauen, um Unterhalt und um Testamente.

Rembrandt konnte schließlich seine Kredite nicht mehr bezahlen und musste noch mehr Geld leihen, kurz vor der Zahlungsunfähigkeitserklärung überschrieb er 1656 sein Haus auf seinen Sohn, auch die Versteigerung von Haus und Sammlungen reichten jedoch nicht, um die Schulden zu begleichen.

Rembrandt musste in ein armes Viertel umziehen, wo er vier Jahre ein abgeschiedenes Leben führte. Das wurde 1660 noch einmal von Sohn und Ziehmutter durch Anstellung in deren Kunsthandlung belebt, Rembrandt konnte Geschäftskontakte pflegen, Aufträge annehmen und Schüler unterrichten, 1663 verstarb dann die Ziehmutter und 1668 Sohn Titus im Alter von nur 27 Jahren, Rembrandt folgte ihm gut ein Jahr später.

Rembrandt: The Baptism of the Eunuch (1626)

Rembrandt: The Baptism of the Eunuch (1626)
Standort: Museum Catharijneconvent, Utrecht (Niederlande)

Rembrandt Harmenszoon van Rijn war ein genialer Künstler, bereits von seinen Zeitgenossen gefeiert und gut bezahlt und von der Nachwelt als einer der bedeutendsten Künstler überhaupt verehrt. Er lebte in einem Goldenen Zeitalter, in einer wirtschaftlichen, künstlerischen und politischen Blütezeit, er hat lange Zeit seines Lebens fleissig gearbeitet, hunderte teuer gehandelter Gemälde geschaffen – und doch schaffte er es, durch unsinnigen Konsum und einen nur durch künftige Verdiensterwartungen abgesicherten Kredit zu verarmen.

Der Engel des 15. Dezember wurde von Rembrandt 1626 geschaffen, es ist der Engel aus dem Gemälde “Prophet Bileam und die Eselin”.

Ssemjon Fedorowitsch Uschakow

wurde um 1626 in Moskau geboren und starb am 25. Juni 1686 ebendort.

Ssemjon oder Simon Uschakow war ein bekannter russischer Ikonenmaler. Über sein Leben ist nichts überliefert bis zu der Zeit, als er in Amt und Würden eintritt. Ssemjon Fedorowitsch Uschakow war im Dienste des russischen Staates als Künstler tätig, als Oberhaupt der Ikonenwerkstatt der Kreml-Rüstkammer ein sehr bekannter und hoch angesehener Künstler.

Den Künstlern, die für russische Zaren und Obersten Kunst fertigten, wurde kein persönlicher Ruhm zugestanden – sie schufen die Ikonen (Heiligenbilder der östlichen Kirchen, besonders der orthodoxen Kirchen) im Namen ihrer Herrscher, denen die religiöse Unterstützung zukommen sollte, und weltliche Kunst zum Ruhm ihrer Herrscher.

Ssemjon Fedorowitsch Uschakow: Der Erzengel Gabriel (2. Drittel 17. Jh.)

Ssemjon Fedorowitsch Uschakow: Der Erzengel Gabriel (2. Drittel 17. Jh.)
Standort: Nationalmuseum des Mönchsklosters, Moskau (Russland)

Sehr viele Arbeiten von Ssemjon Uschakow sind bei uns deshalb nicht bekannt, sein Hauptarbeitsgebiet und seine Meisterschaft soll jedoch in der Anfertigung von Ikonen gelegen haben.

Ssemjon Uschakow war z. B. an der wunderbaren Ausgestaltung der Uspenski-Kathedrale (Maria-Entschlafens-Kathedrale) im Dreifaltigkeitskloster von Sergijew Possad (1930 – 1991 Sagorsk) beteiligt. Den Bau dieser Kathedrale zu Ehren der Gottesmutter hatte Zar Iwan der Schreckliche 1559 begonnen, unter seinem Sohn Fjodor wurde die Kirche bis 1585 fertiggebaut. Sie entstand nach dem Vorbild der Uspenski-Kathedrale im Moskauer Kreml, der größten Kirche im Kreml (und heute das älteste vollständig erhaltene Gebäude in Moskau); das rund 70 km nordöstlich von Moskau gelegene Dreifaltigkeitskloster wurde gegen 1340 vom Heiligen Sergius von Radonesch gegründet und ist seitdem eines der wichtigsten religiösen Zentren der russisch-orthodoxen Kirche.

Die meisterhafte Verzierung des Inneren der Kathedrale wurde 1684 in Angriff genommen, Hofmaler Simon Uschakow war an den Arbeiten an der fünfreihige Ikonostase beteiligt. Eine Ikonostase ist eine mit Ikonen geschmückte Wand mit Türen zwischen innerem Kirchenschiff und Altarraum, die Ikonostase der Uspenski-Kathedrale sollte am Ende aus 76 Ikonen bestehen.

Auch die beiden herrlichen Ikonen einer vergoldeten Holzikonostase, die in der Dreifaltigkeitskirche Nikitniki im Moskauer Stadtteil Kitai-Gorod erhalten sind, werden Simon Fjodorowitsch Uschakow zugeschrieben.

Ssemjon Uschakow rückte in Moskau erst jüngst wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit, als im Frühjahr/Sommer 2012 der Facettenpalast im Moskauer Kreml (ältester Teil des Großen Kremlpalastes, ältestes profanes Bauwerk Moskaus) durch Restaurierung wieder in seine ursprüngliche Form gebracht wurde – die Innenausstattung wurde anhand von Beschreibungen restauriert, die der Ikonenmaler im 17. Jahrhundert angefertigt hatte. Ssemjon Fedorowitsch Uschakow schuf den Engel des 19. Dezember, den Erzengel Gabriel als Russische Ikone, er wird auf das 2. Drittel des 17. Jahrhunderts datiert.

Ein unbekannter russischer Künstler

hinterließ uns eine Ikone des Heilige Nikolaus.

Über diesen Künstler wissen wir überhaupt nichts, da ein Nikolaus zu sehen ist und da es sich um eine Ikone handelt, handelt es sich offensichtlich um eine Heiligendarstellung der orthodoxen Kirche. Diese besondere Form der Heiligenverehrung durch auf Holztafeln gemalte Heiligenbilder ist eine Form der Anbetung, die der orthodoxen Kirche eigen ist. Auch die Wahl des Heilige Nikolaus für die Darstellung auf einer Ikone ist typisch für die orthodoxen Kirche:

In der Kirchengeschichte gibt es zwei Heilige Nikoläuse. Bischof Nikolaus von Myra wurde um 270/280 in der Nähe von Myra östlich von Rhodos (heute Demre, Antalya, Türkei) geboren, er starb 345/351 ebendort. Bischof Nikolaus von Pinara war Abt im Kloster Sion bei Myra und die letzten fünf Lebensjahre Bischof in Pinara, seine Geburtszeit ist nicht bekannt, er starb 564.

Beide Nikoläuse sind also eng mit der Stadt Myra verbunden und wurden in der griechisch-orthodoxen Kirche bereits im sechsten Jahrhundert als Heilige verehrt. Seitdem ist Myra ein Wallfahrtsort der orthodoxen Kirche, auch in den östlichen orthodoxen Kirchen ist der Heilige Nikolaus ein beliebtes Motiv, er wird auf Ikonen wahrscheinlich am häufigsten von allen Heiligen dargestellt.

Als Nikolaus ist der Heilige durch seine Attribute zu erkennen. Er trägt das Gewand eines Bischofs der orthodoxen Kirche, den mit Kreuzen verzierten Brokatstoffstreifen namens Omophorion um die Schultern und hat ein Buch in der Hand. Die Machart des Kunstwerks, die Farbe aus Eitempera, aufgetragen auf Holz und verziert mit einem Heiligenschein aus Silber, der Rahmen und der Hintergrund aus Silberblech verraten eine Entstehung dieser Ikone vor etwa 350 Jahren, um 1665.

Bei uns im Abendland wird der Nikolaus auch verehrt, konzentriert auf den Bischof von Myra und so sehr, dass die Gebeine von italienischen Kaufleuten gleich einmal aus Myra entführt wurden. Das geschah 1078, ab 1087 baute man eine Kirche um die “geklauten Gebeine” herum, die Nikolaus-Basilika in Bari, in die heute rund 200.000 Gläubige jährlich pilgern.

Der Nikolaus wird aber nicht nur als Heiliger verehrt, weil er Bischof war, sondern um den Nikolaus von Myra ranken sich viele Legenden: Er soll unschuldig Angeklagte vor dem Tod bewahrt haben, die Töchter eines Schuldners vor dem Verkauf ins Bordell gerettet haben und ihnen drei Goldklumpen als Aussteuer geschenkt haben, von ungehaltenen Wirtinnen erschlagene und eingepökelte junge Männer wieder zum Leben erweckt haben, Weizen zauberhaft vermehrt haben, um die Menschen in Myra vor dem Hungertod zu retten, Kranke geheilt, Knaben vor dem Ertrinken gerettet und Dämonen aus vergifteten Brunnen vertrieben haben.

Nikolaus von Sion/Pinara soll einfach freundlich und mildtätig gewesen sein, beide Heiligen verschmolzen zu einer Figur eines großen Wohltäters.

Der Heilige Nikolaus von Myra starb am 6. Dezember 343, später wurde sein Gedenktag unser Nikolaustag, an dem der Nikolaus in Erinnerung an die Goldklumpen für die armen Töchter die Schuhe mit Geschenken füllt.

Der unbekannte russische Künstler hat den Engel des 6. Dezember geschaffen, die Ikone des Heiligen Nikolaus.

William Blake

wurde am 28. November 1757 in London geboren und starb ebendort am 12. August 1827.

William Blake wurde in die Familie eines gut situierten Strumpfhändlers geboren und von seiner Mutter Catherine Wright Armitage Blake daheim unterrichtet. Er soll ein derart eigenwilliges Temperament gezeigt haben, dass seine Eltern es nicht wagten, ihn auf eine Schule zu schicken.

Thomas Phillips: Portrait von William Blake (1807)

Thomas Phillips: Portrait von William Blake (1807)
Standort: National Portrait Gallery, London (England)

Für einen normalen, mit Unterordnung verbundenen Beruf erschien er ebensowenig geeignet, weshalb er mit zehn Jahren in einer Zeichenschule angemeldet wurde. Es war eine bedeutendsten Londoner Zeichenschulen und offensichtlich das Richtige für William Blake, ab 1772 absolvierte er eine Lehre als Kupferstecher, ab 1779 wurde er Student in der Royal Academy of Arts.

Eigentlich war mit der Aufnahme in die Royal Academy eine erfolgreiche Karriere als Historien-Maler sicher, Blake überwarf sich jedoch mit dem Akademiepräsidenten Sir Joshua Reynolds, einem mehr der Tradition als der Originalität verpflichtetem Porträtmaler, die Hoffnungen auf die große Karriere waren damit vertan.

Dafür fand er die richtige Frau, die aus einfachen Verhältnissen stammende Catherine Boucher, die er 1783 heiratete. Catherine konnte noch nicht einmal lesen, war aber mit einer starken Neugier gesegnet, lernte von ihrem Mann und bildete sich selbst fort. Nach einiger Zeit wurde sie eine wertvolle Hilfe für Blake, der 1784 eine Druckerei eröffnete; einige Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Kinderlosigkeit des Paares wurden überwunden, die bis zu Blakes Tod (über 40 Jahre) währende Ehe soll eine ausgesprochen glückliche und befruchtende Gemeinschaft gewesen sein.

Im Berufsleben erging es William Blake ohne Unterstützung aus den richtigen Kreisen weniger gut, er arbeitete bis zu seinem Tod als Drucker, Graveur und Illustrator, arm und von der Creme de la Creme der Kunstwelt unbeachtet. Es gab jedoch Freunde und Wohltäter, die ihm durch Aufträge durch die größten finanziellen Durststrecken halfen.

Erst sehr spät in seinem Leben durfte Blake erleben, dass eine neue Künstler-Generation seine Arbeiten zu schätzen begann – etwa ab 1818 nahm die Bilderbuchkarriere eines für schwerfällige Denker unbequemen und unverstandenen Hochbegabten langsam eine positive Wendung.

Diese jungen Künstlern hatten ein gutes Gespür für Talent, auch wenn dieses zu früh dran war, und das waren William Blakes hochinnovative Werke, sie wurden um die Mitte des 19. Jahrhunderts von den Präraffaeliten entdeckt und fanden nun allgemein Anerkennung – der Maler war seiner Zeit knapp ein Jahrhundert voraus.

William Blake: Erzengel Raphael mit Adam und Eva (1808)

William Blake: Erzengel Raphael mit Adam und Eva (1808)
Standort: Museum of Fine Arts, Boston (USA)

Seitdem bleibt er beliebt, in der Hochkultur und in der Popkultur. Malerei und Radierungen des Ausnahmekünstlers, seine Arbeiten als Dichter und seine Ansichten als Naturmystiker werden seitdem immer wieder neu entdeckt. William Blake hatte viele erstaunliche Begabungen, er hat z. B. die Reliefradierung erfunden und seine überbordende Phantasie in Visionen ausgelebt, die er in Gedichte und Bilder verarbeitete.

Die Reihe der Schriftsteller, klassischen Komponisten, Jazz-Komponisten, Rockmusiker, Popmusiker und Regisseure, die in ihrem Werk entscheidend durch William Blake beeinflusst wurden, ist legendär, und es sieht nicht so aus, als wenn diese Reihe bald ein Ende hätte.

Von William Blake wurde der Engel des 21. Dezember geschaffen, der “Erzengel Raphael mit Adam und Eva”, im Jahr 1808.

Inga Schnekenburger

wurde am 28. Juni 1949 als Ingrid Hübler in Winsen an der Luhe geboren und starb am 20. November 2013 auf Teneriffa.

Inga Schnekenburger ist die Künstlerin, die uns zusammen mit ihrem Mann Willi Schnekenburger den Engel-Adventskalender auf www.onlinekunst.de/engel mit den Bildvorlagen für einen Engel-Kalender geschenkt hat.

Inga Schnekenburger (damals Ingrid Hübler) hat früh in Kreativ-Wettbewerben Preise errungen, 1967 bis 1968 an der Werkkunstschule in Hamburg studiert; 1969 war ihre erste Einzelausstellung in Geesthacht, bis 1971 hat sie eine Ausbildung zur Grafikerin beendet.

1969 hatte sie Artur Kaesmacher geheiratet, 1971 und 1973 kamen die Kinder zur Welt; 1976 bis 1980 studierte sie an der Hochschule Lüneburg Kunst, Werken, Pädagogik, Psychologie und Philosophie und legte 1980 die erste Staatsprüfung für das Lehramt Kunst und Werken ab.

1977 war die Scheidung von Artur Kaesmacher und begann die Arbeit als Kunst-Dozentin an der Volkshochschule in Lüneburg, es folgten Referendariat und Prüfungen, ab 1986 die Lehrtätigkeit als Kunstlehrerin am Gymnasium und ab 1989 ein Lehrauftrag an der Fachhochschule Nordostniedersachsen für Kreativitätstraining.

In dieser Zeit hatte Ingrid Hübler fünf Einzelausstellungen, zwei Gruppenausstellungen und eine Retrospektive bestückt und eine Kunstschule gegründet, 1991 verabschiedete sie sich mit einer Ausstellung im Städtischen Glockenhaus in Lüneburg von Niedersachsen und ging nach Donaueschingen in Baden-Württemberg.

Dort leitete sie bis Ende Januar 1992 die Städtischen Jugendkunstschule und heiratete den Künstler Willi Schnekenburger. Es folgten Lehraufträge für Kreativitätstraining an der Fachhochschule Furtwangen bis 1997 und bis 2001 viele Ausstellungsbeteiligungen:

Mehrfach bei den Internationalen Keramikwochen in Hüfingen, ein “Spiegelkreuz” in München, Aquarelle, Objekte und Keramik, teilweise gemeinsam mit Willi Schnekenburger, auf der Landesgartenschau Bad Dürrheim, in Koblenz, Asbach, Furtwangen, Lohmar, Schwerin, Düsseldorf, Meiningen, Berlin und Hochfelden im Elsass in Frankreich.

Inzwischen hatte sich Inga Schnekenburgers Malerei, Objektkunst und Keramik der Aufbruch in die digitale Welt angeschlossen: 1995 erfolgte mit “Pictures about I Ging – Bilder zum I Ging” die erste Präsentation im Internet, 1997 bis 1998 ließ sich die Künstlerin zur Multimedia-Entwicklerin ausbilden, 1998 gründen Willi und Inga Schnekenburger onlinekunst.de, auf dieser Plattform für Kunst und Kultur im Internet fanden seitdem viele Ausstellungen und Kunstprojekte statt.

Auch wenn die Seite nach Inga Schnekenburgers Tod im Jahr 2013 momentan (Stand 12/2014) nicht weitergeführt wird, lohnt sich ein Ausflug dorthin unbedingt, das Kunstprojekt computergarten.de z. B. wurde ebenfalls 1998 begonnen und ist viele Jahre gewachsen, es enthält heute eine Fülle von Computerkunst und künstlerischer Digitalfotografie.

Inga Schnekenburger hinterließ uns die Engel des 2., 4. und 9. Dezember, den “Engel des Johannes”, “Die Zeit schreitet fort” und “Schutzengel”, wunderschöne Computergrafiken und Aquarelle.

Der Beitrag Kleines Weihnachtsgeschenk – Engelskünstler zum Kennenlernen (Teil 2) erschien zuerst auf Kunstplaza.



Weitere tolle Infos zu diesem Thema gibt es hier:
http://www.kunstplaza.de/allgemein/kleines-weihnachtsgeschenk-engelskuenstler-zum-kennenlernen-teil-2/

Art-o-Gramm: Was ist eigentlich Performance Art?

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Joseph Beuys hat eine Menge Performance Art auf- oder durchgeführt, mit toten Hasen, Klavieren, Krankentragen, Kojoten und schließlich 7.000 Eichen. Für Cindy Sherman war es schon eine Performance, wenn sie sich für ihre berühmten Fotoserien “Bus Riders” (1976) und “Untitled Film Stills” (1977-1980, siehe nachfolgendes Video) verkleidete, schminkte und in Pose setzte.

Marina Abramović hält eine Performance 721 Stunden durch und fordert (vermutlich deshalb), dass Performancekunst als geistiges Werk über das Ende der Performance hinaus geschützt werden müsse …

Auch viele nicht ausdrücklich als Performancekünstler eingestufte Kunstschaffende machen immer wieder mit Performance-Aktionen von sich reden: Bruce Nauman stolziert 1968 in seinem “Walk with Contrapposto” durch einen schmalen Sperrholzgang, bevor er 1969 im “Performance Corridor” die Rezipienten mit genau dieser Handlung an Konzeptkunst teilnehmen lässt. Natias Peter Günther Rudolpho Neutert schreibt nicht nur Gedichte und Essays, sondern führt sich selbst auch immer wieder gerne als Ein-Mensch-Theater auf …

Alles Kunst, alles Performance, mit oder ohne “überflüssige Requisiten”, mit oder ohne erkennbaren Sinn, Performance Art setzt sehr gerne auf eine gesteigerte Leistung der Phantasie.

Phantasie hin und her, hier geht es um die Theorie der Kunst, also darum, was denn eigentlich Performance-Kunst ist und wie sie von den Kunstwissenschaftlern definiert wird:

Performance Kunst: Eine offizielle Definition

Die Kunstwissenschaftler haben sich lange Jahre mit der Performance Art beschäftigt (seit gut 50 Jahren, solange läuft die Entwicklung), und sie haben die Performancekunst erfolgreich definieren können:

Performance Art

Eine Performance wird eine situationsbezogene, handlungsbetonte und vergängliche (ephemere) künstlerische Darbietung eines Performers oder einer Performancegruppe genannt. Die Kunstform hinterfragt die Trennbarkeit von Künstler und Werk sowie die Warenform traditioneller Kunstwerke (Quelle: Wikipedia); in der kunstwissenschaftlichen Literatur finden sich natürlich noch sehr viele andere, kompliziertere und unkompliziertere Definitionen, aber hier lag der Fokus auf Allgemeinzugänglichkeit).

Also, was sagt uns die Definition, Stück für Stück:

1. Künstlerische Darbietung

Was das ist, wird nicht näher definiert; es kommt also darauf an, wer beurteilen darf, ob es sich um eine künstlerische Darbietung handelt. In einer freien demokratischen Gesellschaft mit Grundrechten, deren Leitbild die Autonomie des einzelnen Subjekts ist, liegt die Entscheidung darüber natürlich beim ausübenden Künstler selbst.

Wenn sich jemand hinstellt und verkündet, er würde jetzt eine künstlerische Darbietung aufführen, folgt eine künstlerische Darbietung.

Noch mehr Selbstverständlichkeiten zur der sich hieraus ergebenden “Ist-das-Kunst-oder-kann-das-weg”-Debatte (denen es nicht schadet, wenn sie fast ständig ins Gedächtnis der Allgemeinheit gerufen werden):

Was Kunst ist, bestimmt in einem freien Land der, der die Kunst macht.
Was ein Auto ist, bestimmt in einem freien Land der, der das Auto produziert.
Was Schokolade ist, bestimmt in einem freien Land der, der die Schokolade herstellt.

Da in einer freien Gesellschaft Menschen mit verschiedenen Geschmäckern leben, schmeckt nicht unbedingt jedem, was da als Schokolade herstellt wird. Die Schokolade mit Chili mögen zwar noch ziemlich viele Menschen, die Schokolade mit Meerrettich mag aber kaum mehr ein Mensch; Schokolade ist es immer noch.

Da in einer freien Gesellschaft Menschen mit unterschiedlicher Risikobereitschaft und Umweltverantwortung leben, hält nicht unbedingt jeder riesige schwere Dreckschleudern mit einer Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h für geeignete Stadtautos. Der hohe Sitz kann dem 1,70-m-großen Micky Mega zwar zu besserer Sicht auf den Fahrweg verhelfen, die Fahrer eines solchen Stinkenden Urtrieb-Vehicels wirken aber schon in ziemlich schwachsinniger Weise an Feinstaub-Verseuchung und Verstopfung unserer Städte mit; ein Auto ist es immer noch.

Da in einer freien Gesellschaft Menschen mit verschiedenen Meinungen leben, gefällt nicht unbedingt jedem jedes Kunstwerk. Wenn ein Performance-Künstler 7.000 Eichen pflanzt, verbessert das zwar die Luft, wenn er in einer Performance Nazi-Symbole einbezieht, könnte das aber schon die falschen Leute auf die falschen Ideen bringen; Kunst ist es immer noch.

Bis wohin?

Wenn der Chocolatier Meerrettich in die Schokolade gibt, bezeugt das seinen schlechten Geschmack, tut aber niemandem weh (nur im Herzen, wie man ein so wunderbares Produkt so verhunzen kann). Wenn er Botox in die Schokolade gibt, um mit dieser Antifalten-Schokolade Karriere zu machen, bezeugt das noch schlechteren Geschmack und perverse Dummheit des Chocolatiers, und das starke Gift Botulinumtoxin (nichts anderes ist Botox) kann richtig weh tun, bis hin zum Tod.

Wenn ein Autoproduzent Selten Umwelttoxische Verkehrshindernisse auf die Straße bringt, sterben nur möglicherweise Städter ein wenig früher, einfach nur weil das Auto vorbeifährt fällt niemand auf der Stelle um. In der Hand des von “The-Fast-and-the-Furious”-Filmen erzogenen, nicht sehr hoffnungsvollen Sprösslings von Bankdirektor Walkpaul wird der Suboptimale Urban-Verpester dann allerdings spätestens zum tödlichen Geschoss, das aktuell und sofort den Tod Unbeteiligter verursacht.

Wenn in einer Performance Hakenkreuz und Hitlergruß gezeigt werden, hat das auf jeden Fall Potenzial zu einer schlimmen Beleidigung, jemandem weh zu tun. Wenn ein Künstler ein wunderschönes Graffiti auf die Türmchen zwischen dem Jägerzaun sprüht, tut er tatsächlich jemandem weh, wenn auch nur der Seele und dem Eigentum der Bürger, die ohne heile Disney-Alpenlandschaft hinter Jägerzaun mit Türmchen nicht leben können – aber auch auf Disney-Alpenlandschaften bzw. unverletzte Seelen hat man in einem freien Land ein Recht.

Ob Schokolade, Auto, Kunst – freie Ausübung oder Produktion kann offensichtlich in Konflikt mit anderen unserer Gesellschaft wichtigen Positionen und Werten geraten. Wenn es um leichtere Konflikte geht, werden diese durch mediale Berichterstattung (“Heute im XY-Magazin: Die widerlichsten Schokoladen der Welt”) oder vor den Zivilgerichten geklärt (Grundstückseigentümer verklagt Künstler, weil neu gepflanzte Bäume ihm die Sicht versperren).

Die wirklich ernsthaften Konflikte sind in der Regel vom Gesetzgeber derart geregelt, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnimmt. Der nicht hoffnungsvolle Sprössling wandert ins Gefängnis, wenn er Unschuldige umfährt, der hoffnungsvolle Graffiti-Künstler wird mindestens dazu verurteilt, die fachkundige Entfernung des Graffitis von den Türmchen zu bezahlen; wegen der Nazi-Symbole in der Performance hat die Staatsanwaltschaft ermittelt und die Ermittlungen eingestellt, weil das Handeln in diesem Fall von der Kunstfreiheit gedeckt sei – vom hier agierenden Künstler Jonathan Meese ist lange und hinreichend bekannt, dass er Gegner jeglicher Ideologien und ganz bestimmt kein Nazi ist.

Aber Eines bleibt: Egal ob Medienschelte, Zivilgerichtsverfahren oder Gefängnis die Folge sind – Schokolade, Auto und Kunst bleiben in einem freien Land Schokolade, Auto und Kunst, weil die jeweils Handelnden das so definiert haben.

Wenn jemand anders definiert als der Handelnde, handelt es sich nicht mehr um ein freies Land, sondern um eine Diktatur; und da wir in einer solchen ganz bestimmt nie wieder leben möchten, dürfen Performance-Künstler bestimmen, wann eine Darbietung Performance-Kunst ist.

2. Eines Performers oder einer Performancegruppe

Erst einmal logisch ziemlich klar. Irgendeiner muss es ja machen, und der/die, der es macht/die es machen, ist eben der Performer oder die Performancegruppe.

Schwieriger kann es aber auch ziemlich schnell werden: Wenn der Pudel des Performers mitperformt, könnte es sich rein erkenntnistheoretisch um eine Performance des Performers mittels Pudel oder um eine Performance des Pudels handeln. Letzteres nur, wenn der Beurteilende der Meinung ist, Tiere hätten eine eigene Persönlichkeit und wären fähig zu künstlerischen Darbietungen.

Die Frage der eigenen Persönlichkeit von Tieren, und damit verbundenen eigenen Rechten von Tieren, vom Recht auf artgerechte Haltung mit Recht auf schmerz- und qualfreien Tod bis hin zum grundsätzlichen Recht auf Leben bzw. Zugeständnis eines eigenen Bewusstseins, der Fähigkeit zum selbstbestimmten Denken, ist gerade heftig in Diskussion.

Je mehr geforscht wird, und je näher die Zivilisation/das Lebensumfeld des Forschers bereits der Erkenntnis gekommen ist, dass der Mensch nicht der Nabel der Welt ist (wobei die westlichen Zivilisation in dieser Hinsicht ganz bestimmt nicht zu den fortschrittlichsten zählen), desto mehr wird diese Frage zugunsten der Tiere entschieden.

Wobei dann immer noch die grundsätzliche Unschärfe bleibt, dass der Beurteilende der Mensch ist. Und wann ein Tiere willentlich eine künstlerische Darbietung abliefert, mag dann schon überhaupt kein Forscher mehr entscheiden, obwohl die Pfleger sicher sind, dass sich Schimpanse Congo und Elefant Boon Mee (www.n-tv.de/wissen/Wenn-Tiere-malen-article5395041.html) beim Malen etwas gedacht haben.

Alles nicht so einfach zu definieren, wenn wir auch von Demonstrationen für die Kunstfreiheit von Pudeln noch ein Stück weit entfernt sind – was im Augenblick auch wieder nicht viel sagt, weil sich bei einigen zivilisierten Gesellschaften gerade im Zuge umwälzender Migrationsbewegungen ein mächtiger Rechtsruck andeutet und mehr Macht der entsprechenden Parteien erfahrungsgemäß dazu führt, dass Demonstrationen für jede Freiheit in weite Ferne rücken …

Außerdem: Sind dann auch Chiara Schimmerlos, Kevin Knödelsang, Pauline Presswurst und Ruben Rauswurf Performance-Künstler, und ihre dürftigen bis ärgerlichen Darbietungen bei einer Casting-Show im Fernsehen sind Kunst?

A. Ja, klar, haben wir doch schon geklärt, wer sagt, dass er Kunst macht, ist ein Künstler. Und überhaupt, “Jeder Mensch ist ein Künstler”, hat ja ausgerechnet der Performance-Künstler Joseph Beuys gesagt. Außerdem: Es ist doch gerade diesen als programmfüllende Witzfiguren eingesetzten Narzissmus-Lehrlingen dringend zu gönnen, dass sie sich nach Ausscheiden damit trösten können, wenigstens 5 Minuten Kunst vor Publikum gemacht zu haben (Sie haben doch schon die berühmten 15 Minuten Berühmtheit? Nein, nicht wirklich, mit solchen Auftritten klappt das nicht).

B. Nein. Das englische “performen” steht auch für “vornehmen” (einen chirurgischen Eingriff), “ausüben/wahrnehmen” (eine Funktion) und weitere völlig kunstfreie Tätigkeiten; man könnte manche selbst ernannte “Performer” durchaus fragen, ob sie eigentlich einen chirurgischen Eingriff am Gehör des Publikums vorhatten bzw. sich ihrer Funktion als Pausenclown bewusst waren.

Beuys hat auch nicht nur “Jeder Mensch ist ein Künstler” gesagt, sondern dieser so gerne zum Zitieren aus dem Zusammenhang gelöste Satz lautet vollständig:

“Jeder Mensch ist ein Künstler. Damit sage ich nichts über die Qualität. Ich sage nur etwas über die prinzipielle Möglichkeit, die in jedem Menschen vorliegt […] Das Schöpferische erkläre ich als das Künstlerische, und das ist mein Kunstbegriff.“

(www.kunstmarkt.com/pages/kue/kuenstler_portraitbericht.html?id=34000) – er wollte alle Künstler auffordern, die Probleme einer modernen Gesellschaft zu bewerten und sich an deren Lösung zu beteiligen, und keinesfalls alle Menschen auffordern, schlechte Kunst zu machen.

Andy Warhols Satz über die “15 Minuten Ruhm” wird ebenfalls gewöhnlich falsch zitiert: Mit dem Ausspruch “In the future everyone will be world-famous for 15 minutes” (“In Zukunft wird jedermann für 15 Minuten Weltruhm erlangen”) wollte Warhol gerade nicht zu “Berühmtheit für jeden, der diese beansprucht” aufrufen.

Sondern er wollte ganz im Gegenteil die Macht der Medien anerkennen, die schon zu seiner Zeit (das Zitat ist von 1968) an Stelle von Galeristen und Kuratoren, Kunstwissenschaftlern und der Künstlergemeinschaft selbst trotz oft eher zweifelhafter Kompetenz darüber entschieden, wem Ruhm zuzuschreiben sei. Das war auch der Grund dafür, warum Warhol seine Factory-Groupies (häufig selbst berufene Mitarbeiter in seiner “Kunst-Fabrik”) “Superstars” nannte – in Zukunft seien schlappe 15 Minuten die Zeit, die für den Ruhm übrig blieben, weil die Medien einfach zu viele “Stars produzierten”.

Suchen Sie es sich einfach aus, und ansonsten ist es wie üblich dann eben doch nicht ganz so einfach:

Ob eine Performance unbedingt von einem (ihrem) Performer aufgeführt werden muss, ist einer der ganz großen Streitpunkte der Performancekunst.

Seit Performance-Künstlerin Marina Abramović legendäre Performances früherer Performance-Künstler wiederaufgeführt hat und in Folge dieser Wieder-Aufführungen den Anspruch formuliert hat, dass eine Performance unabhängig von ihrem Performer einen künstlerischen Wert hat, wankt die zeitliche und persönliche Gebundenheit eines Kunstwerks der Performance Art, die Diskussion ist noch nicht entschieden.

3. Situationsbezogen

Definition Situation?

Laut www.duden.de/rechtschreibung/Situation umfasst die Situation die Verhältnisse/Umstände, in denen sich jemand augenblicklich befindet, also die augenblickliche Lage eines Menschen; oder die Verhältnisse/Umstände, die einen allgemeinen Zustand kennzeichnen, also die allgemeine Lage.

Hä? Situationsbezogen handelt der Künstler einer Performance-Aufführung, wenn er bezogen auf die Lage handelt, in der er sich befindet, oder bezogen auf die Lage, in der sich die Welt befindet?

Wie soll er anders handeln? Selbst wenn der Künstler ankündigt, abgehoben von sich selbst und fern von dieser Welt zu handeln – befindet er sich immer noch in seinem Körper und in dieser Welt, der Fakir wie der Trance-Künstler.

Also: Situationsbezogen ist eine Performance immer, wenn sie auf dieser Welt stattfindet; und daran ändert auch die längere Definition in de.wikipedia.org/wiki/Situation scheinbar erst einmal nichts, nach der eine Situation eine Lage oder Position bezeichnet, die Gebundenheit an Gegebenheiten oder Umstände, aber auch die Beschaffenheit und zugleich Wirksamkeit einer psychologisch (rein geistig) definierten Region oder eines Gebiets.

Tatsächlich ändert diese Definition natürlich alles, weil die Performance damit nicht mehr auf die reale Situation bezogen sein muss, in der sich Künstler und Welt befinden, sondern auf die Situation, die der Künstler sich denkt. Was für den Kunstbetrachter allerdings nicht viel ändert, die Frage: “Was hat sich der Künstler dabei gedacht?” ist so alt wie die Kunst der Welt.

Schwierig zu beantworten ist dann noch die Frage, wie und ob sich eine Situationsphobie, also eine krankhafte Angst in bestimmten Situationen, auf das Vorliegen der Definitionsmerkmale einer Performance auswirken kann (ist es noch eine Performance, wenn der Künstler zwischendurch – oder sogar vor Beginn – wegrennt, weil ein paar Gesichter im Publikum ihn ärgern/anöden, usw.).

4. Handlungsbetont

Eben: Ist es überhaupt eine Performance, wenn der Künstler in einer Situation nicht handelt, sondern still dasitzt wie Marina Abramović im ihrer Performance “512 Hours” (2014, Serpentine Galleries, London)?

Wahrscheinlich schon, logisch korrespondiert diese Frage auch schon mit dem Punkt “künstlerische Darbietung”. Die anerkanntermaßen auch durch Inaktivität stattfinden kann, hier gilt ein ähnlicher Handlungsbegriff wie im Strafrecht, indem man sich durch Tun, unter gewissen Voraussetzungen aber auch durch Unterlassen strafbar machen (bzw. künstlerisch betätigen) kann.

Genau diese Voraussetzungen bringen die Handlung ins Spiel, im Strafrecht manchmal in der “umgekehrten Form” einer Handlungspflicht wie bei der “Unterlassene Hilfeleistung” oder in Form einer vorgezogenen Handlung, wenn sich z. B. jemand absichtlich betrinkt, um den Mut zum unflätigen Herumstänkern, Zündeln, Zuschlagen oder Zustechen aufzubringen (Beleidigung, Brandstiftung, Körperverletzung, Totschlag, Mord).

In der Kunst ist das nicht viel anders, Marina Abramović ließ ihre 512 Stunden still sitzen nach gewissen Vorbereitungen in einem gewissen Umfeld stattfinden; wenn sie 512 Stunden bewusstlos herumgelegen hätte oder durch Kitzeln zum Reflex “Kichern” bewegt worden wäre, hätte das kaum jemand als Kunst eingeordnet, sondern es würde sich eher die Frage nach der Strafbarkeit derer stellen, die es unterlassen haben, einen Krankenwagen zu rufen oder den Kitzelnden am Kitzeln zu hindern.

5. Vergänglich (ephemer)

Wieder erst einmal klar: Auch wenn 30-Stunden-Performances wie die Live-Performance “the long now” und 168-Stunden-Performances wie “Approximations” heute keinen mehr erstaunen oder 8760-Stunden-Performances wie “Das Leben im Schaukasten” auch schon vor ein paar Jahrzehnten stattfanden – die Sache (Performance) hat irgendwann ein Ende, auch wenn ein Künstler sein Leben zur Langzeit-Performance umdefiniert, dann hat die Sache eben ein Ende, wenn der Künstler ein Ende hat. Aber lang ist in, viele Performance-Künstler machen es nicht unter dreistelligen Stunden-Kontingenten; und schön lang wird die Performance auch, wenn man einfach die ganze Ausstellung zur Langzeit-Performance erklärt wie DADO.

Andererseits wird durch alle diese Performances schon die Definition gesprengt, wenn ephemer gleichberechtigt neben dem “vergänglich” steht: Das Sammlerobjekt Ephemeron (aus dem Griechischen) wird genau dadurch zum Sammlerobjekt, dass es nur für einen einmaligen und sehr kurzen Gebrauch bestimmt ist; die Eintagsfliege aus der Gattung der Ephemera dadurch, dass sie nur einen Tag lebt (und die norwegische Frauen-Popband Ephemera hat sich diesen Namen wohl in übertriebenem Pessimismus gegeben, von 1996 bis 2004 gab es sie sicher, laut ihrer Website “Ephemera is here to stay”).

Außerdem: Wenn ein Performance-Künstler die Performances anderer Künstler wiederaufführen darf bzw. tatsächlich wieder aufführt (auch der Urheberrechts-Inhaber kann das niemals an allen Orten der Welt verhindern, sondern höchstens im Nachhinein Schadensersatz fordern), wird das Ende einer Performance zur bloßen Unterbrechung und die Performance vom Ephemeron zum “Aeternicon”, zur ewigen Kunst.

Genau diese Diskussion hat die schon unter 2. erwähnte Marina Abramović ja angestoßen, als sie 2005 im Solomon R. Guggenheim Museum New York, die “Seven Easy Pieces” mit Wiederaufführung längst vergangener Performances inszenierte. Sie plant auch, in ihrem neu gegründeten “Marina Abramović Institute” (MAI) neben Entwicklung neuer Performance-Kunst ein “lebendes Archiv” historischer Performances durch Wiederaufführungen zu schaffen.

6. Kunstform hinterfragt die Trennbarkeit von Künstler und Werk

siehe oben 2. und 5., heute nicht mehr zwingend verneint

Wenn allerdings die “eiserne Grundregel” fällt, dass eine Performance an die Person des Performers/der Performer gebunden und nicht wiederholbar ist, könnte eine Performance mit Wiederholbarkeit und Wiederaufführung bis ins Stadium der Beliebigkeit “absinken”. Denn dann wäre auch nicht mehr zwingend, dass die Wiederaufführung von einen Performance-Künstler durchgeführt werden muss.

Simone Fortis “Huddle” von 1961, der bahnbrechende Tanz für die Entwicklung der Performance Art und der möglicherweise halsbrechende Tanz für die Teilnehmer dieses Kuschelhaufens, anstatt langweiliger Büro-Gymnastik? Warum nicht, ein paar New Yorker haben 2012 auf der High Line schon mal geprobt, wie das aussah, können Sie sich hier ansehen:

7. Kunstform hinterfragt die Warenform traditioneller Kunstwerke

“Hinterfragt” ist lange her und inzwischen entschieden: Kunst muss sich nicht mehr in einem Gegenstand manifestieren, seit die ersten Performer in den 1960er Jahren anfingen zu performen und die ersten Konzeptkünstler zur etwa gleichen Zeit das reine Konzept zur Kunst erklärten.

Eigentlich sogar noch viel früher, als die ersten Dadaisten 1916 die ersten Lautgedichte in ganz besonderen Kostümen vortrugen, die für die Aufführungen erdachten Verkleidungen und die verzapften lautmalerischen Köstlichkeiten waren mit Sicherheit nicht als Handelswaren geeignet, selbst wenn jemand auf eine solche Idee gekommen wäre.

So sah das aus: Die Beine in einem Säulenrund aus blauglänzendem Karton, der schlank bis zur Hüfte reichte, sodass der Träger wie ein Obelisk aussah. Darüber ein riesiger Mantelkragen, innen mit Scharlach und außen mit Gold beklebt, am Halse so zusammengehalten war, dass er durch Heben und Senken der Ellenbogen flügelartig bewegt werden konnte. Dazu einen zylinderartigen hohen weiß-blau gestreiften Schamanenhut.

Und so hörte sich das in etwa an:

jolifanto bambla o falli bambla
grossiga m’pfa habla horem
egiga goramen
higo bloiko russula huju
hollaka hollala
anlogo bung
blago bung
blago bung
bosso fataka
ü üü ü
schampa wulla wussa olobo
hej tatta gorem
eschige Zunbada
wulubu ssubudu uluw ssubudu
tumba ba- umf
kusagauma
ba – umf

Das Bild zeigt das Gedicht Karawane von Hugo Ball († 1927).

Das Bild zeigt das Gedicht Karawane von Hugo Ball († 1927).
Quelle: Dada Almanach. Berlin: Erich Reiss Verlag, 1920, S. 53

(Karawane, von Hugo Ball 1917, eines der wenigen aufgezeichneten Lautgedichte)

Wann ist Abwaschen nun Performance-Kunst und wann ist es Abwaschen?

Geht man nach den gerade einzeln betrachteten Merkmalen der gängigsten Definition von Performance Kunst, hat Abwaschen “gute Chancen auf Kunstwerk”.

Abwaschen ist situationsbezogen: Dass der Mensch mit dem riesigen Berg dreckigem Geschirr vor der Nase die Verhältnisse/Umstände, in denen er sich augenblicklich befindet (die Situation) begrüßt, wird in der Definition nicht gefordert. Dieser Mensch handelt situationsbezogen, hoffentlich, sonst fängt das Geschirr an zu stinken (könnte dann immer noch eine Performance werden, aber nur mit einigem Brimborium, nicht durch einfach nur stinken lassen).

Abwaschen ist handlungsbetont, wieder hoffentlich, das Geschirr wird nicht von selbst sauber und der Mensch hat danach noch einiges zu tun.

Abwaschen ist vergänglich, weil das saubere Geschirr nicht mehr das dreckige Geschirr ist. Und Abwaschen ist ephemer, weil niemand es auch mit noch so viel Mühe schaffen wird, genau das gleiche dreckige Geschirr zu genau dem gleichen riesigen Berg rund um die Spüle aufzustapeln.

Abwaschen hinterfragt regelmäßig die Trennbarkeit von Künstler und Werk; immer von dem aus, der gerade ausgewählt wurde, um den Abwasch zu erledigen, und keine Lust dazu hat.

Und Abwaschen hinterfragt die Warenform, weil es diesem Menschen zu seinem Bedauern noch nie gelungen ist, den Abwasch weiterzuverkaufen.

Der Abwasch hinterfragt allerdings noch nicht die Warenform eines traditionellen Kunstwerks, zu dem wird er ja erst, wenn die letzten zwei Merkmale der Definition erfüllt sind: Abwaschen als künstlerische Darbietung eines Performers oder einer Performancegruppe.

Da aber, wie oben dargelegt wurde, Performer oder Performancegruppe selbst bestimmen, dass und was sie performen, gehört es zu den leichteren Aufgaben dieser Welt, den Abwasch als Performance-Künstler anzugehen und aus dem Abwaschen eine künstlerische Darbietung zu machen …

Nutzt wissenschaftlich nichts, nur gut fürs selbstbestimmte Denken

Wenn Sie jetzt glauben, mit den Merkmalen der gängigsten Definition die Performance-Kunst im Griff zu haben und fröhlich darangehen, jede Alltagstätigkeit in Kunst zu verwandeln – könnte das Leben mehr Spaß machen, aber ein anerkannter Künstler werden Sie dadurch nicht unbedingt werden.

Die ganze Definition der Performance-Kunst oben hat nämlich vergessen zu erwähnen, dass eine Kunst-Darbietung immer darauf angewiesen ist, dass die Kunstbetrachter der jeweiligen Definition der Kunst zustimmen und folgen. Beim Abwasch könnte es Ihnen schon an den Kunstbetrachtern fehlen. Wobei die Darbietung wohl auch Kunst bleiben müsste, wenn niemand zum Zusehen kommt, es müsste Ihnen grundsätzlich freistehen, von jetzt ab jeden Abwasch für sich als Performance-Kunst zu feiern.

Wenn Betrachter zugegen sind, könnte es Ihnen passieren, dass diese nicht Ihre Kunstausübung bewundern, sondern sich ohne jeden Gedanken an Kunst darüber freuen, dass Sie schon wieder den Abwasch übernommen haben … Das ist dann eine situative Dissonanz: Sie “machen Kunst”, und der Rest der Mannschaft trinkt Wein und “macht Freizeit” und ist froh, wieder den gleichen Doofen für den Abwasch gefunden zu haben.

Nicht weniger Dissonanz könnten Sie verspüren, wenn Sie mit Kunstwissenschaftlern über die Definition der Performance-Kunst sprechen. Wenn ein Kunstwissenschaftler z. B. schreibt: “Performance-Kunst liegt immer vor, wenn ein Künstler vor Zuschauern handelt und sagt, dass es sich bei diesen Handlungen um Kunst handelt, egal wie häufig er die Aufführung wiederholt”, können Sie dem zustimmen oder eine gegenteilige bzw. andere Meinung einnehmen (die der Kunstwissenschaftler allerdings kaum ernst nehmen wird, wenn sie von einem Nicht-Kunstwissenschaftler kommt).

Kann er auch nicht, er hat schon genug mit anderen Kunstwissenschaftlern zu tun: Experten für Konzeptkunst melden sich und wenden ein, dass diese Definition ganz klar Kunstwerke der Konzeptkunst ergebe, Theaterwissenschaftler sehen ein Theaterstück definiert, womit sie auch recht haben, wenn in der Performance Art ein künstlerisches Ereignis nie in gleicher Weise wiederholt werden darf (wogegen die Anhänger der Wiederaufführbarkeit und der Performance für die Ewigkeit viel zu sagen haben).

Die Definition der Performance-Kunst kann mit der Definition von Body-Art, Happening und Fluxus kollidieren, es gibt Überschneidungen mit Aktionskunst und Neo-Dadaismus; die sich aber dringend abgrenzen wollen, auch wenn manche ihrer Live-Art-Aufführungen, Action-Art-Spektakel, Interventionen oder Manoeuvre eine enge Definition von Performance Art erfüllen.

Der Kunstwissenschaftler schreibt deshalb auch nicht einfach “Performance-Kunst liegt vor, wenn …”, sondern widmet sich der Eingrenzung der Performance-Kunst auf einigen Hundert Seiten, z. B. in den Werken:

  • Marvin Carlson: Performance: A Critical Introduction. Routledge, London / New York 1996, ISBN 0-415-13703-9, 288 Seiten
  • Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-518-12373-4, 300 Seiten

Es gibt also viele Definitionen von Performance Art – nur keine definitive (www.zeit.de/2012/11/Ausstellung-ZKM-Karlsruhe/seite-2); in diesem Sinne viel Spaß mit Ihrer nächsten – aktiven oder passiven – Performance.

Die oben exerzierte Stück für Stück-Betrachtung einer der Definitionen der Performance Art könnte Ihnen aber ganz andere Anregungen mitgeben: Sie dürfen selber denken, immer, können jede wissenschaftliche Definition in ihre Einzelteile zerlegen und hinterfragen.

In der Kunst und in anderen Lebensbereichen, in denen Ihnen jemand vormachen will, man müsse etwas so und so machen, weil die aktuell geltende wissenschaftliche Definition ja gar keine anderen Möglichkeiten offen lasse …

Und falls Sie sich gerade im Geiste über das konkretisierende Beispiel Abwasch lustig gemacht haben, weil heutzutage jeder einen Geschirrspüler besitzt, könnten Sie vielleicht generell ihre Einstellung zur Konsumwelt hinterfragen.

Denn es gibt eigentlich keinen Grund, sich den meist ohnehin begrenzten Wohnraum mit einem großen Gerät vollzustellen, dass unter Einsatz aggressiver Chemie (haben Sie schon einmal an Ihren Geschirrspülmaschinen-Tabs gerochen?) und nicht unerheblichem Energieeinsatz (v.a. für Intensiv-Spülgange, um die stinkende, über Tage wachsende Sammlung wirklich sauber zu kriegen) ohne dieses Gerät schneller zu erledigende (der Geschirrspüler muss eingeräumt werden) Alltagsarbeiten durchführt – während der ganz normale Abwasch im kleineren Haushalt ohne jedes Kunst- oder sonstiges Problem mit Wasser und wenig aggressiven Spülmitteln von Hand zu erledigen ist (95 % erledigt Einweichen).

Falls Ihnen gerade nicht so nach dem Thema Geschirr ist: Viele Artikel im Kunstplaza-Blog regen zum selbst Denken und/oder zum selbst kreativ werden an.

Der Beitrag Art-o-Gramm: Was ist eigentlich Performance Art? erschien zuerst auf Kunstplaza.



Weitere tolle Infos zu diesem Thema gibt es hier:
http://www.kunstplaza.de/kunstlexikon/art-o-gramm-was-ist-eigentlich-performance-art/

Kaleidoskop Kunstgeschichte – Epochen der Kunstgeschichte: Kunstgeschichte des Mittelalters

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Das Kaleidoskop will trockenen Stoff strukturieren und “mit Spaß tränken”, so dass er greifbarer wird und Neues erfahren (das heute häufig eher unangenehm besetzte Lernen) zum Vergnügen und Verstehen wird.

Dazu gibt es erst einmal Überblick über die großen Zusammenhänge, die dann anhand einzelner prägnanter Spots (gerne mit Blick auf die leicht verrückten Auswüchse eines Themengebietes) punktuell beleuchtet werden.

Kunstplaza Kaleidoskop - Kunstgeschichte des Mittelalters

Gerade geht es um Kunstgeschichte, ganz am Anfang darum, wie die Wissenschaftler, die sich mit Kunstgeschichte beschäftigen, ihren Stoff einteilen. Die Kunstgeschichtler teilen die Geschichte der Kunst in vier große Epochen, für die sich bestimmte, alles andere als feststehende Kerndaten etabliert haben:

  • 1. Ur- und Frühgeschichte der Kunst: 600.000 v. Chr. (erste Werkzeuge) – 3.100 v. Chr. (erste Hochkulturen mit Schrift)
  • 2. Kunstgeschichte des Altertums: 3.100 v. Chr. (erste Hochkulturen mit Schrift) – 500 n. Chr. (Ende Antike, Beginn Mitteralter)
  • 3. Kunstgeschichte des Mittelalters: 500 n. Chr. (Ende Antike, Beginn Mitteralter) – 1.500 n. Chr. (Ende Mittelalter, Beginn Neuzeit)
  • 4. KKKKK der Neuzeit: 1.500 n. Chr. (Ende Mittelalter, Beginn Neuzeit) – heute

Im ersten Kaleidoskop der Kunstgeschichte ging es um Überblick über die Epochen der Ur- und Frühgeschichte der Kunst und der Kunstgeschichte des Altertums. Hier folgt nun ein Überblick über die Epoche der Kunstgeschichte des Mittelalters, die 3. Epoche der Kunstgeschichte:

Zur Kunst des Mittelalters gehört die Kunst, die zwischen ca. 500 n. Chr. bis ca. 1.500 entstanden ist.

Wie gesagt, die Jahreszahlen sind niemals so ganz genau zu nehmen – Im Westen beginnt das Mittelalters mit dem Untergang der Antike, der sich schon über ein paar Jahrhunderte hinzog. Hier ein paar Daten zur Auswahl, an denen das Ende der Antike im Laufe der letzten Jahrhunderte festgemacht wurde oder wird:

  • Die Teilung des Römischen Reiches in Ost- und Westrom 395 n. Chr. (beliebter Ansatz der älteren Forschung)
  • Die Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus 476 n. Chr.
  • Die Niederlage des Syagrius (letzter selbständige “römischer” Herrscher in Gallien) gegen den fränkischen König Chlodwig I. 486/87
  • Gründung des ersten Benediktinerklosters (Abtei Montecassino im italienischen Latium) und Verbot der Platonischen Akademie (kritische Philosophenschule) 529
  • Tod des oströmischen Kaisers Justinian I., der die Philosophenschule verboten hatte, 565
  • Einfall der Langobarden in Italien 568
  • Beginn der islamischen Expansion 632

Die drei letzten Ereignisse bezeichnen für die jüngeren Forscher das Ende der Antike treffender; für den östlichen Teil des Römischen Reiches betrachtete auch die ältere Forschung den Start der islamischen Eroberungen als Ende der Antike/Beginn des Mittelalters.

Insgesamt wird der Beginn des Mittelalters also recht variabel irgendwo zwischen 500 und 700 n. Chr. angesetzt. Wenn man vor allem den westlichen Kulturkreis betrachtet, wie die traditionelle (westlich geprägte) Kunstgeschichtswissenschaft es tut, ist das Mittelalter eine dunkle Zeit.

Die antiken Kulturen der von den klassischen Kunstwissenschaftlern so bewunderten Römer und Griechen waren schon eine Weile Geschichte:

Die Griechen haben von Kreta aus eine immerhin 1.000 Jahre (1.300 bis 300 v. Chr.) blühende Kultur durchlebt, bis ein Herrscher namens Alexander (20. Juli 356 v. Chr. – 10. Juni 323 v. Chr.) sich aufmachte, das ganze Umfeld zu erobern. Alexander der Große wurde er genannt, die Abfolge seiner Schlachten nimmt einen großen Teil dessen ein, was heutiger Geschichtsunterricht über diese Zeit vermittelt. Seine Nachfolger konnten sich bloß nicht einigen, wer das griechische Reich nach Alexanders Tod gegen die vielen Feinde verteidigen sollte, die er seinem Reich geschaffen hatte, so zerfiel Alexanders “Griechisches Weltreich” in vier Teilreiche, die sich selbst auflösten oder unter die Herrschaft der gerade zur Großmacht aufsteigenden Römer gerieten.

Im Römischen Reich lief es ganz ähnlich, erst regierten Könige, dann kam ein Stück Republik, dann Kaiser, dann wurden immer mehr Gebiete erobert. Bis das riesige Reich in Ost- und Westrom zerfiel, danach ging es nur noch abwärts, mit allen gerade oben genannten Ereignissen, an denen das Ende der Antike festgemacht wird.

Es folgte das Mittelalter, eine Zeit von Krieg und Krach und wieder Krieg, eine raue Zeit, in der nicht nur die Kunstkultur der Antike, sondern auch viele gesellschaftliche Errungenschaften untergingen. Die Menschen kämpften mit politischen Unruhen und der damit einhergehenden hohen Kriminalitätsrate, mit Krankheiten und Kälte und mit einem zu geringen Einkommen, um auskömmlich zu leben.

Merowingisches Mosaik in der Cathédrale Sainte-Croix d Orléans

Merowingisches Mosaik in der Cathédrale Sainte-Croix d’Orléans (Loiret, Frankreich)
von Fab5669 [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons

Die Menschen damals wurden von Adel und Klerus ausgebeutet wie die Menschen heute von unregulierten Finanzkonzernen; wenn Kultur, war sie Sache des Adels und der Kirche (läuft heute auch schon in die Richtung, die schönsten Gemälde der Welt verschwinden gerade per Auktion und für sechsstellige Beträge bei den immer reicher werdenden Reichen dieser Welt).

Die Zeit zwischen dem Ende der Antike und dem Aufkommen des Humanismus (15. Jahrhundert) wird von den später rückwärts schauenden Generationen deshalb als eine Zeit des Verfalls von Bildung und Kultur empfunden, es gab unter den normalen Menschen kaum Künstler – und damit auch kaum freie Kunst: Was Adel und Kirche gemalt haben wollten, hatte nicht im geringsten die Variationsbreite, die Kunstschaffende in freien Gesellschaften entwickeln.

Dieser unsichere, beschwerliche und unfreie Zustand hielt ein ganzes Jahrtausend an und bildet damit eine eigene Epoche der Kunstgeschichte, die die Kunstwissenschaftler in verschiedene Perioden einteilen:

Frühmittelalter, 5. Jh. bis Mitte 11. Jh., wird in der Kunstgeschichte auch Vorromanik genannt

1. um 500 – 750 Merowingische Kunst

Umfasst alles, was das Frankenreich unter den Merowingerkönigen an Kunst hervorbrachte, Volkskunst der verschiedenen Völker des Frankenreichs mit Resten der Kunstfertigkeit eines untergegangenen Weströmischen Reiches.

Beispiele: Handgeschriebene Bücher, Gürtelschnallen und Buchrücken aus Metall, gemalte Buchillustrationen (vor allem Tiere)

2. 750 – 900 Karolingische Kunst

Karl Künstle (1859-1932): Die Kunst des Klosters Reichenau im IX. und X. Jahrhundert und der neuentdeckte karolingische Gemäldezyklus zu Goldbach bei Überlingen.

Karl Künstle (1859-1932): Die Kunst des Klosters Reichenau im IX. und X. Jahrhundert und der neuentdeckte karolingische Gemäldezyklus zu Goldbach bei Überlingen.

748 wurde Karl der Große geboren, 768 war er König des Frankenreichs und 800 Kaiser. Karl der Große wollte eine zufriedene und leistungsfähige Gesellschaft. Er unterstützte Bildung und wusste, wie wichtig Kunst und Kultur für die geistige Regsamkeit eines Volkes ist; er wollte eine kulturelle Neubelebung des Frankenreichs. Was ihm gelang, wir nennen das heute “karolingische Renaissance”. Die Kunst dieser Renaissance (französisch: Wiedergeburt) spürt spätantik-frühchristlichen und byzantinischen Traditionen in Kultur und Kunst nach.

Beispiele Godescalc-Evangeliar (Prachthandschrift mit Gold Silber auf Purpurpergament), Beginn einer herausragenden Architektur

3. 950 -1050 Ottonische Kunst

Die Ottonen hießen eigentlich Ludolfinger und kamen mit Heinrich I. 919 an die Herrschaft, aber weil ab 936 Otto I. (der Große, 936–973, ab 962 Kaiser), Otto II. (973–983 Kaiser) und Otto III. (983–1002, ab 996 Kaiser) folgten, werden sie eben so genannt. Der letzte Ludolfinger war zwar auch wieder ein Heinrich (II., Kaiser ab 1014), aber der starb 1024 ohne Erben. Auf jeden Fall übernahmen die Ottonen (Zwischenspiel: ein Konradiner, Konrad I.) von den Karolingern das Reich und die Liebe zur Kunst, mit “ottonischer Renaissance”.

Beispiele: Goldschmiedekunst, Reliefs in der Buchmalerei

Hochmittelalter, Mitte 11. Jh.–Mitte 13. Jh.

1. 1000 – 1250 Romanik

Hier wird es künstlerisch reichhaltiger, weshalb die Romanik in Frühromanik (um 1000–1024), Hochromanik (1024–1150) und Spätromanik (1150–1250) gegliedert wird.

Beispiele: Prägnant sichtbar in der Sakralarchitektur, romanische Kirchen zeigen eine Reihe von Weiterentwicklungen der frühchristlichen Basiliken, die als romanische Merkmale gelten:

  • Grundriss christliches Kreuz, Grundmaß Quadrat
  • Kreuzgewölbe oder Tonnengewölbe
  • Massive Wände, Pfeiler und Säulen, Rundbögen an Arkaden, Fenstern, Portalen
  • Basiliken sind dreischiffig, erhöhtes Mittelschiff + zwei niedrigere Seitenschiffe
  • Kirche geteilt in Hauptschiff als Versammlungsort der Gemeinde und Querschiff als Bereich für den Klerus
  • Freskomalerei

2. 1130 – 1200 Frühgotik

Romanische Vorboten der Gotik in Deutschland: 1130 muss eine frühromanische Basilika dem Dom St. Peter in Worms weichen, der bis 1181 gebaut wird. Das romanische Kreuz des Meisters Imervard von 1150 zeigt einen triumphierenden Christus ohne Dornenkrone und mit stark überdehntem Körper, das bleibt auch in der gotischen Kunst typisch.

Herrenrefektorium Kloster Maulbronn, Speisesaal der Mönche, Frühgotik; Unesco-Weltkulturerbe

Herrenrefektorium Kloster Maulbronn, Speisesaal der Mönche, Frühgotik; Unesco-Weltkulturerbe
von Harro52 [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Die Gotik beginnt 1130 in Frankreich, als Gründungsbau gilt die Abteikirche von Saint-Denis in Frankreich. Der “Early English Style” der Gotik beginnt um 1180, in Deutschland ist die Gotik erst um 1250 angekommen. Der Limburger Dom (Bau 1190 bis 1235) ist ein bekanntes Beispiel für den Übergang von der Romanik zur Gotik.

Der Limburger Dom, auch Georgsdom genannt, thront oberhalb der Altstadt von Limburg neben der Burg Limburg

Der Limburger Dom, auch Georgsdom genannt, thront oberhalb der Altstadt von Limburg neben der Burg Limburg. Der Bau gilt heute als eine der vollendetsten Schöpfungen spätromanischer Baukunst. Es zeigen sich jedoch auch schon Elemente der Frühgotik.
von Super-Grobi [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

3. 1200 – 1250 Hochgotik

Die “typischen künstlerischen Kennzeichen” der Gotik sind Begriffe, die Architektur beschreiben (obwohl die Aufdrucksformen der Gotik alle Gattungen der Kunst bis hin zum Kunsthandwerk verändern): Bündelpfeiler, dreigeschossige Hochschiffwände, Fassenden mit einem oder zwei Türmen, Fenstermalerei statt Freskomalerei, Grundmaß Rechteck, Hohe Räume, Kreuzrippengewölbe, optische Auflösung der Wände, Skelettbauweise, Spitzbögen, Verzierungen wie plastischer Schmuck, Rippen, Strebewerke

Beispiele: Kathedrale Notre-Dame in Paris (Baubeginn 1163, dauerte 150 Jahre), auch die Kathedrale Notre-Dame in Chartres (Bau 1194 bis 1260) ist ein prächtiges Beispiel französischer Gotik.

Notre-Dame de Paris

Notre-Dame de Paris
von Skouame [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Spätmittelalter (Spätgotik), Mitte 13. Jh. – um 1500

Im Sakralbau kommen Hallenkirchen mit gleich hohen Schiffe und einschiffige Saalkirchen dazu, der Profanbau mit Rathäusern und Bürgerhäusern, Stadttoren und Brunnen nimmt zu.

Beispiele: Hochgrab des Kaisers Heinrich II. (973–1024) und seiner Frau Kunigunde (um 980 – 1033) im Bamberger Kaiserdom von Tilman Riemenschneider (um 1460-1531), Kölner Dom (Bau 1248 bis 1880, schlägt mit lockeren 632 Jahren Bauzeit jede Endlos-Baustelle unserer Zeit), Lübecker Marienkirche (ab 1250), Marienburg (ab 1270, größter Backsteinbau Europas); Maler Giotto (um 1267–1337), Jan von Eyck (1390 – 1441, “Erfinder der Ölmalerei”), Rogier van der Weyden (1399 – 1464, Rogier da la Pasture), Hans Memling (1433/1440 – 1494).

Die Spätgotik streckt sich bis in die Neuzeit, mit Künstlern wie Filippo Brunelleschi (1377 – 1446, Architekt und Bildhauer) und Donatello (um 1386 – 1466, Bildhauer) als geistige Vorbereiter der frühen, nun folgenden Renaissance – dem ersten Abschnitt der 4. Epoche der Kunstgeschichte, der Kunst der Neuzeit.

Der Beginn dieser Neuzeit liegt natürlich ebensowenig genau im Jahr 1.500 wie der Beginn des Mittelalters im Jahr 500, auch wenn es so schön praktisch ist. Vor allem die Kunstliebhaber, die aus gerne lesen (also die meisten), werden darauf bestehen, dass die Neuzeit ziemlich genau im Jahr 1450 begonnen hat, als nämlich Johannes Gutenberg seine ersten Bücher setzte und druckte.

Übrigens: Auch wenn die Kunstgeschichte der Romanik und Gotik ganz von der Baukunst gekennzeichnet sind (wir hatten so viel nachzuholen, als das “finstere Mittelalter” endlich ein wenig heller wurde) und der damalige Durchschnitts-Künstler entweder von einem Adligen oder der Kirche bezahlt wurde, also wenig künstlerische Freiheit hatte – die Künstler nahmen sich ihre Freiheiten, manchmal ziemlich offensichtlich, manchmal kaum zu entdecken.

Da gibt es Weltchroniken, die mit biblischen Figuren, Rittern und Trojanern in eine Art Science Fiction mutieren, da gibt es einen Maler ehrwürdiger Heiligenbilder, in denen immer wieder Gurken auftauchen, ganz normale, dumme, grüne Gurken … im Kaleidoskop sollen möglichst viele dieser Skurrilitäten aufgespürt werden, damit Kunst so richtig Spaß macht.

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Kunst der Ur- und Frühgeschichte: Altpaläolithische Kleinkunst

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Kunsplaza Kunstgeschichte - Altpaläolithische Kleinkunst

Kunsplaza Kunstgeschichte – Altpaläolithische Kleinkunst

Sammelbegriff für ein paar „Steinwerkzeuge und Feuersteine aus dem Altpaläolithikum“, die mit Gesichtern von Tieren verziert angeblich die frühesten Kunstwerke der Menschheit sind, aber von der Mehrzahl der Wissenschaftler für „Naturkunst“ gehalten werden.

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Kunstgeschichte; Kunst der Ur- und Frühgeschichte: Augenidol

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Augenidole setzten einige vorgeschichtliche Kulturen der Alten und Neuen Welt ein, gewöhnlich als Amulett zum Schutz gegen Böses.

Üblicherweise handelt es sich um Gesichtsandeutungen auf Keramiken, die über viele Gebiete der Welt und über eine lange Zeit hinweg nachgewiesen sind: An steinzeitlichen Hünengräbern in Nordeuropa fand man Keramik mit Augendarstellungen, zwei Augen mit betonten Brauen und manchmal eine Nase; in Dänemark verzierten die Früh-Dänen im Bundsø-Stil um 3000 v. Chr. rund ein viertel Jahrtausend Töpfe mit Augenidolen; Augen-Motive wurden auch in anderen Teilen Europas manchmal zusammen mit Megalithanlagen gefunden.

Anderswo war man weiter mit Darstellung, Benennung und Deutung der Augen-Symbole: Im alten Ägypten heilte das Udjat-Auge des Gottes Horus und wurde dafür auch ziemlich imposant ausgestattet: bit.ly/2BFPCp0; in Mesopotamien (Irak) fand man mit Tell Brak einen ganzen Augentempel, um 2800 v. Chr. gefertigte, wunderschön abstrakte schwarzweiße Alabasterfigurinen mit angedeuteten Gesichtern aus Augen, Brauen und Stirnfalten (schon damals!), manchmal zwei Augenpaare oder zwei Köpfe übereinander, manchmal Augen mit Kronen, manchmal eindeutig mit Augen, die Gottheiten auswiesen.

Im spanischen Los Millares wurden im 3. Jahrtausend v. Chr. stilisierte Idole aus Stein, Knochen oder Terrakotta auf große runde Eulenaugen reduziert; im türkischen Kültepe entstanden um 1950–1800 v. Chr. Alabasteridole mit Körpern, drei Hälsen und fast nur aus beringten Augen bestehenden Gesichtern; Zypern fertigte um 2000 v. Chr. Terrakotta-Brettidole mit konzentrischen Kreisen als Augen.

Augen-Symbolik in der Ur- und Frühgeschichtlichen Kunst

Augen-Symbolik in der Ur- und Frühgeschichtlichen Kunst

In Amerika waren die Augen Regensymbole; die Kultur um den regelmäßig austrocknenden Mississippi entwickelte um 900 v. Chr. Menschenkopf- und Gesichtsdarstellungen mit Gabel- oder Flügelaugen, die sich verselbständigen konnten und öfter einmal die Tränen laufen ließen (früher war eben doch nicht alles besser).

Dieser weltweite Einsatz der Augen-Symbolik erscheint aus heutiger Sicht sehr naheliegend, Punkt-Punkt-Strich braucht eigentlich keine Riesen-Anstrengung im kreativen Teil des Hirns. Warum also treten die Augen-Symbole – überall auf der Welt fast gleichzeitig – gerade jetzt auf, wo doch erste aufrechte Homo vor knapp 2 Millionen Jahren nicht mehr in Afrika herumkroch und der Homo sapiens auch schon 200.000 Jahre alt ist?

Könnte die Entwicklung der Hochkulturen direkt mit der Hirnentwicklung verknüpft werden? Seit 12000 Jahren Sesshaftigkeit, Anbau und Vorratshaltung, mehr Sicherheit, mehr Essen und mehr Hirn; und um 3000 v. Chr., ein paar hundert Generationen später, schießt das “Mehr an Hirn” erste Blüten? Ohne auf die langwierigen Zeiträume der Hirnentwicklung abzustellen, bleibt von diesen Ideen übrig: “Was nahe liegt und vernünftig ist, wird überall auch gedacht und setzt sich irgendwann durch” – ein Gedanke, der manchen Zeitgenossen im 2. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts., in dem dieses Lexikon geschrieben wird, gewaltig beruhigen könnte.

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Kunst der Ur- und Frühgeschichte: Der tatsächlich betrachtete Zeitraum

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Die Kunstwissenschaftler setzen den theoretischen Betrachtungszeitraum meist etwas anders an, aber rein logisch beginnt die Vor- und Frühgeschichte der Kunst mit dem Anfang der Kunst, mit dem ersten Kunstwerk, das ein Mensch geschaffen hat.

Frühgeschichte der Kunst: Betrachtungszeitraum

Da Kunst und Kultur eine entscheidende Rolle im Prozess der Menschwerdung zugewiesen werden, könnte man auch sagen, dass der Mensch durch dieses erste Kunstwerk zum Menschen wurde. Dieses Henne-und-Ei-Problem bereitet Kunstwissenschaftlern praktisch wenig Probleme, weil das erste vom Menschen geschaffene Kunstwerk, das der Nachwelt erhalten blieb, ”erst” vor rund 40.000 Jahren entstand.

Die Vor- und Frühgeschichte der Kunst geht mit Entwicklung der ersten Hochkulturen in die Kunstgeschichte des Altertums über, weltgeschichtlich gesehen um 3.100 v. Chr. Unsere Vorfahren waren ein wenig später dran: Was bei uns und weiter nördlich in Felshöhlen oder Holzkaten hauste, hatte mit Hochkultur so wenig zu tun, dass man bei den Auseinandersetzungen mit den Römern ein paar Jahrhunderte nach Christi noch “richtig Kultur aufsog” (was ein anspruchsvoller Römer auch nicht mehr unterschrieben hätte, die römische Kultur war zu dieser Zeit schon ganz schön dekadent).

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Kunst der Ur- und Frühgeschichte: Der theoretisch betrachtete Zeitraum

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Rein theoretisch umfasst der Betrachtungszeitraum der Kunst der Ur- und Frühgeschichte eine sehr lange Zeit:

Kunst der Ur- und Frühgeschichte: Der theoretisch betrachtete Zeitraum

Von den ersten menschlichen Spuren, die in Mitteleuropa um das Jahr 600.000 v. Chr. datiert werden können, bis zur Entwicklung der ersten Hochkulturen um 3100 v. Chr. (oder später, weil die meisten damals bewohnten Gebiete erst lange nach 3000 v. Chr. in den Bereich der Hochkultur einstiegen und damit auch ihre Ur- und Frühgeschichte erst später endete).

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Kunst der Ur- und Frühgeschichte: Ein undogmatisches Lexikon

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Ein Kunstmagazin, das Appetit auf Kunst machen will, kann auf pseudointellektuelle Sprachverbrämung verzichten und auch sonst etwas wagen.

Zum Beispiel die Kunst der Ur- und Frühgeschichte der Menschheit am realen Werk darstellen, alle wichtigen Kunstwerke mit den wichtigsten Fakten, immer nur ein paar Stichworte, hier und jetzt.

Ein undogmatisches Lexikon

Wenn Sie das gelesen haben, wissen Sie noch kaum etwas vom Inhalt der hochgelehrten kunstgeschichtlichen Bücher über die Zeit, aber Sie haben einen Überblick über die Kunstwerke, die die später lebenden Menschen unserer Ur- und Frühgeschichte entreißen konnten.

Das ist viel, zum Mitreden und zur weiteren selbsttätigen Erforschung der Ur- und Frühgeschichte der Kunst.

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Kunst der Ur- und Frühgeschichte: Germanische Kunst‎

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Die Germanische Kunst‎ gehört komplett zur Ur- und Frühgeschichte der Kunst und nicht zur eigentlichen Kunstgeschichte der nordischen Völker. Denn diese Kunstgeschichte wird nicht als “germanische Kunstgeschichte” bearbeitet, sondern stellt sich als Kunstgeschichte der Nationen dar, zu denen die germanischen Stämme schließlich wurden und die noch heute bestehen.

Die diversen germanischen Stämme, von Langobarden bis Wikinger, die den europäischen Raum von Italien bis hoch in den Norden bevölkerten, brachten nirgendwo eine Hochkultur zustande. Kultur ja, mit Guldgubben und noch mehr Gold, Frauengräbern (wieso nur Frauen?), Helmplatten und Reitersteinen, diversen Kunststilen namens Borres-Stil, Jelling-Stil, Mammen-Stil, Oseberg-Stil, Ringerike-Stil, Runensteinstil, Tierstil, Urnes-Stil und Vendelstil, Scheibenfibeln, Vogelfibeln und Wirbelrädern, aber eben keine Hochkultur.

Man mag darüber streiten, ob winzige Gold-Plättchen voller detailreich verzierter Figuren, die zu einem feinen Hauch getrieben wurden, nicht entschieden hochkultureller sind als eine Warhol’sche Blechdosen-Sammlung; aber zu einer Hochkultur gehört noch einiges mehr: Einheitliche Schrift und Sprache, Kalendersystem, die mit Kultur und Religion ein gemeinsames Denken und Fühlen bilden; Landwirtschaft inkl. Handel und Vorratshaltung; Entwicklung von Städten und Wissenschaften; politisch organisierte Gesellschaft mit organisiertem und planvoll handelndem Regierungs-, Rechts- und Verwaltungssystem; Arbeitsteilige Berufstätigkeit der Bürger; Ausbildung spezialisierter Gesellschaftsklassen; schlagkräftiges Militärwesen mit Berufssoldaten; die Erschaffung anspruchsvoller künstlerischer Leistungen auf den Gebieten der Literatur, Musik, bildenden Kunst und Architektur.

Germanische Kunst‎

Den Germanen fehlten vielleicht einige Merkmale der Hochkultur; vor allem mit den Städten und den Wissenschaften und der Architektur war es noch nicht so weit her. Aber politisch organisiert waren die damaligen Gesellschaften natürlich, vor allem wenn man von der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs ausgeht – jegliche Tätigkeit und jedes Gedankengebilde, die das Gemeinwesen der “alten Griechen”, die Polis betrafen.

Ansätze eines organisierten und planvoll handelnden Regierungs-, Rechts- und Verwaltungssystems gab es auch (und vielleicht liegt derjenige nicht falsch, dem sofort “Ansätze haben wahrscheinlich besser funktioniert” durch den Kopf schießt), ein schlagkräftiges Militärwesen mit Berufssoldaten und die damit regelmäßig verbundene Ausbildung spezialisierter Gesellschaftsklassen (zur Versorgung abgewrackter Heerführer) sowieso, und der Anspruch oder die Anspruchslosigkeit künstlerischer Leistungen dürfen auch dann im Auge des Betrachters liegen, wenn die künstlerischen Leistungen vor langer Zeit erbracht wurden.

Der Nicht-Wissenschaftler könnte in der Rückschau Gründe finden, die wissenschaftlichen Bewertungen in Frage zu stellen (frei nach dem Motto: lieber ein paar fingernagelgroße Goldplättchen als ein 40-Millionen-Dollar-Aufblaspudel); er dürfte sogar fragen, ob das Hoch in der Kultur im Jahr 2017 nicht auch schon ziemlich niedrig geworden ist.

Uns fehlt es zwar nicht an anspruchsvollen Leistungen von Autoren und Architekten, Künstlern und Musikern; die Anerkennung dieser Leistungen richtet sich jedoch mehr nach dem Marketinggeschick des Künstlers (Autoren, Architekten, Musikers) sowie seinem Willen und seiner Entschlossenheit, sich in den Medien zu präsentieren, als nach dem Anspruch der Leistung. Die berufstätigen Bürger arbeiten arbeitsteilig bis zum Umfallen; damit entstehen aber leider gerade immer mehr Fachkräfte, die nur noch hoch speziell ohne ausreichend breite Basis ausgebildet werden, weil breite Ausbildung teuer ist und der Clou an der ganzen Sache ohnehin ist, dass die Früchte dieser schweren Arbeit in zunehmendem Maße sowieso nur noch denen zukommen, denen breite Ausbildung zu teuer ist.

Das schlagkräftige Militärwesen wurde inzwischen als Geißel der Menschheit entlarvt und das Heer von Berufssoldaten als ein guter Weg, abgehärtete Psychopathen, emotionslose Sozialkrüppel oder andere intern oder extern wirkende traumatische Belastungen zu produzieren. Mit den spezialisierten Gesellschaftsklassen steigen die Probleme, je mehr die Spezialisierung “viel Geld verdienen” in den Vordergrund rückt; die politisch organisierte Gesellschaft ist unpolitisch oder verschwindet in Echoräumen; das organisierte und planvoll handelnde Regierungs-, Rechts- und Verwaltungssystem schafft in der Zeit den Bau eines Flughafens und eines Bahnhofs nicht, in der die Chinesen ihr halbes Land umbauen.

Die Städte werden für Normalbürger zunehmend unbewohnbar, die Wissenschaften sind dem Markt unterworfen, die Landwirtschaft zerstört das Land und das Grundwasser, der Handel hat heimlich die Herrschaft übernommen. Die Vorratshaltung weicht dem zwangsversteigerungs-verursachten Nullbesitz, einheitliche Schrift und Sprache, Kalendersystem, Kultur und Religion bilden nur noch für die ein gemeinsames Denken und Fühlen, die sich nicht vor Angst verbarrikadieren … vielleicht sollte die Definition der Hochkulturen überdacht werden.

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Kunst der Ur- und Frühgeschichte: Germanische Kunst – Berdal-Stil

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Frühe Zeugnisse des Oseberg-Stils werden in der kunstwissenschaftlichen Literatur teilweise als eigener Berdalstil unterschieden; auch der benannt nach seinem Fundort, der in diesem Fall in Norwegen liegt.

Germanische Kunst‎; Berdal-Stil

Ob Berdal-Stil oder Oseberg-Stil; diese frühen Zeugnisse der Skulptur-Kunst in Skandinavien, die auf ca. 800 bis 850 v. Chr. eingeordnet werden, haben auf jeden Fall ihren ureigenen Charme:

Fast karikatureske Darstellungen zeigen geheimnisvolle Tierwesen mit überproportionalen Köpfen und zusammengestückelten Körpern; die Wirkung liegt irgendwo zwischen “Comic pur”: bit.ly/2nq8JR2, bit.ly/2iI0EWr, bit.ly/2nqubpa, dem Werk eines direkten Hieronymus-Bosch-Vorfahren: bit.ly/2kmNmzb und französischer Hermès-Eleganz: bit.ly/2AEM5tv.

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Kunst der Ur- und Frühgeschichte: Germanische Kunst‎ – Guldgubbe

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Guldgubbe oder Guldgubbar, schwedisch für “Goldmännchen”, wurden so benannt von den Bauern, die in den Dünen der skandinavischen Provinz Schonen immer wieder die kleinen Goldblech-Arbeiten fanden. Der erste Altertumsforscher, der sich 1791 mit den allerliebsten kleinen Goldfigürchen befasste, übernahm die Bezeichnung der Bauern, treffender geht’s auch schwer:

Germanische Kunst - Goldgubbe

Die “ältesten Toreuten Nordeuropas” erschufen im 6. Jahrhundert n. Chr. lediglich ein bis zwei Zentimeter große Figuren aus Goldblech, die in bewundernswerter Feinarbeit und Detailvielfalt Menschen in verschiedensten Ornaten und Tiere darstellten.

Toreutik ist die Kunst der erhabenen oder vertieften Darstellung auf Holz, Stein, Metall (in späterer Zeit teil nur noch für Bildgießerkunst gebraucht). Die germanischen Goldkünstler schufen solche erhabenen und vertieften Darstellungen, als “avantgardistische Kunst” aus oder mit einem ihnen neuen Material. Das wir heute immer noch mit dem Namen bezeichnen, den sie dem besonderen Stoff damals gaben: “Gold” leitet sich vom indogermanischen ghel = “glänzend, gelb” ab. Insgesamt gesehen waren die skandinavischen Bauern nicht ganz früh dran mit der Goldentdeckung und -bearbeitung, die ältesten uns bekannten Goldartefakte der Menschheit (Gräberfeld von Warna), wurden zwischen 4600–4300 v. Chr. angefertigt.

Goldgubber Funde in der Siedlung Sorte Muld auf der dänischen Insel Bornholm

Goldgubber Funde in der Siedlung Sorte Muld auf der dänischen Insel Bornholm
Bild von Martin Stoltze [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Die kleinen Goldblech-Figuren erregten aber dadurch besondere Aufmerksamkeit, dass sie mit einer bis dahin nicht gekannten Präzision im Kleinen gearbeitet sind. Besser als jede Beschreibung illustriert das eine Darstellung einiger Funde aus der berühmtesten und ausgiebigsten Fundstelle “Sorte Muld”:

Welchem Zweck die Goldmännchen dienten, die vor allem im Umfeld der damaligen Zentren gefunden wurden, ist noch nicht ganz klar (vor allem, weil man nicht sicher ist, ob die Orte durch Handel oder wegen ihrem Renommee als geistige Zentren reich wurden). Wahrscheinlich beides, und die Guldgubber waren mit Sicherheit keine (besonders hübschen) Münzen, weil das Goldblech dazu viel zu dünn ist.

Häufig sind die Täfelchen so zart, dass man sie kaum ohne Beschädigungsgefahr anfassen kann, die winzigen detaillierten Motive sind mit bloßem Auge kaum zu erkennen – diese Kunstwerke waren sicher nicht dazu gedacht, im rauen nordischen Alltag “in der Hosentasche herumgetragen zu werden”.

Vielleicht waren es Götterbildamulette für den Hausaltar (um den Hals konnten die zarten Schönheiten nicht getragen werden), vielleicht hatten sie bei irgendwelchen Kulthandlungen eine Funktion, vielleicht stellen sie auch eine Art frühzeitlicher Gerichtsakten dar, weil meist Menschen und Menschenpaare und manchmal Schlachttiere zu sehen sind

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Bauten in Deutschland – Die Anfänge von Antike bis Romanik

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Zur Kunst, die unseren Alltag ständig und deutlich wahrnehmbar begleitet, gehört die Baukunst. Menschen, die in der Nähe wirklich beeindruckender Baukunstwerke wohnen, gewinnen sicherlich an dauerhafter Lebensqualität, wenn sie täglich daran erinnert werden, welche Schätze sie um sich haben – im Gegensatz zu den Touristen, die extra kommen, um sich diese beeindruckenden Bauwerke anzusehen, stehen sie Ihnen ja jeden Tag zur Verfügung! In Deutschland können wir ab der Antike die baulichen Spuren der Vergangenheit verfolgen:

Zu Beginn unserer Zeitrechnung hatte die damalige Weltmacht, das Römische Reich, Teile im Süden und Westen des damals von germanischen Stämmen bewohnten Landes besiedelt, und sie waren es auch, die uns die ersten Baukunstwerke hinterließen (die germanischen Stämme lebten in hölzernen Hüttensiedlungen und überlieferten uns keine bleibenden Bauten).

Heute noch zu bewundern sind einige Überreste der um 100 bis 150 n. Chr. entstandenen römischen Grenzbefestigung. Der Limes berührte die heutigen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Dieses komplexe System von Barrieren ist als Gesamtheit von Palisaden, Gräben und Wällen bis heute im Gelände zu verfolgen, es wurde im Jahr 2005 als 550 km langes Bodendenkmal “Obergermanisch-Rätischer Limes” ins Weltkulturerbe aufgenommen. Da eine wie auch immer gebaute Barriere bei einer Besichtigung vor Ort nicht ungemein spektakulär wirkt, wurden einige der rund 900 Wachtürme und der etwa 120 kleineren und größeren Truppenlager bzw. Kastelle in verschiedenstem Umfang rekonstruiert.

Innenarchitektur der Pfalzkapelle in Aachen

Innenarchitektur der Pfalzkapelle in Aachen
von HOWI – Horsch, Willy [CC BY-SA 3.0], Wikimedia Commons

Welche der Rekonstruktionen einen Besuch wirklich lohnen, hat Claus te Vehne aus 74189 Weinsberg in bewundernswerter Detailarbeit auf seinen www.limesseiten.de zusammengestellt. Hier finden Sie inzwischen noch mehr zu den römischen Hinterlassenschaften am Limes in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Neben Militäranlagen entdecken Sie hier auch Römische Gutshöfe und weitere Funde wie Bauinschriften, Steinbrüche oder Grabinschriften. In sehr vielen Fällen mit Fotos, sodass schon der Spaziergang durch diese Website ein lehrreicher und unterhaltsamer Ausflug in die Vergangenheit ist. Wenn Sie allerdings Kinder begeistern möchten mit diesem Ausflug in unsere Ursprünge des Bereichs Baukunst, sollten Sie sich besondere Tage heraussuchen wie die Römertage im Reiterkastell und Römermuseum Aalen (Vorführungen, Schaukämpfe, Modenschauen, römische Speisen) oder einen der Aktionstage im komplett rekonstruierten Kastell Saalburg bei Bad Homburg, die sehr viele spannende Themen beinhalten.

Die Römer hatten aber auch noch ein ziviles Leben, für das sie Brücken und Thermen und Amphitheater und Stadttore erbauten, zum Beispiel die Porta Nigra, das wahrscheinlich am besten erhaltene Stadttor der Antike, das heute am Rand der Innenstadt von Trier liegt. In der alten Römerstadt sind auch die Ruinen verschiedener Thermen, eine wiederaufgebaute Basilika (Konstantinbasilika), die Römerbrücke und ein Amphitheater zu besichtigen, und die ersten Mauern des Doms stammen ebenfalls aus römischer Zeit, wie auch die Anfänge des Kölner Doms. In den ursprünglichen römischen Städten Augusta Vindelicorum (Augsburg) und Cambodunum (Kempten) findet sich ebenso Römisches Bauwerk wie in einigen anderen Orten Bayerns, Hessens und Baden-Württembergs.

Herrliches Mosaik in der romanischen Basilika San Vitale in Ravenna

Herrliches Mosaik in der romanischen Basilika San Vitale in Ravenna
von Testus [CC BY-SA 3.0], Wikimedia Commons

Ab dem Zeitpunkt ihrer größten Ausbreitung wurden die Römer langsam durch die verschiedensten germanischen Stämme zurückgedrängt, mit ihnen verschwand für eine ganze Weile die städtische Kultur und der Fortschritt aus der Baukunst, erst mit Karl dem Großen hatte das die römische Herrschaft ablösende Fränkische Reich wieder einen Herrscher hervorgebracht, der über die Mittel verfügte, bedeutende Bauwerke in Angriff zu nehmen.

Damit haben wir inzwischen in der Baukunst das 8. Jahrhundert erreicht, die kunstgeschichtlich als Vorromanik bezeichnete Epoche, die vor allem Baukunstwerke einordnet und den Übergang von Spätantike zu Romanik umfasst, also etwa den Zeitraum vom 5. bis in das 11. Jahrhundert.

Karl der Große bzw. sein Baumeister Odo von Metz hat uns die Pfalzkapelle in Aachen hinterlassen, die wahrscheinlich ab dem Jahr 793 in mehrjähriger Arbeit errichtet wurde (sie wurde 798 geweiht). Diese Kapelle der damaligen Kaiserpfalz, die heute das Zentrum des Aachener Doms bildet, wurde als Oktogon gestaltet und damit wahrscheinlich den berühmtesten Bauwerken der damaligen Zeit nachempfunden.

Eine ähnliche Form haben San Vitale in Ravenna und die Kirche der Heiligen Sergios und Bakchos in Konstantinopel (die “Kleine Hagia Sophia”), wichtige byzantinische Kirchenbauten aus dem 6. Jahrhundert, auch spätantike Herrschaftsbauten wie St. Gereon und das Praetorium in Köln glänzten mit achteckigen Kuppeln. Diese Bauten verwirklichten die höchste Baukunst der Zeit, der der Franke Odo von Metz auch rund 150 Jahre später kein neues Wissen hinzufügen konnte, die Pfalzkapelle des Kaisers blieb sogar noch mehr als weitere 200 Jahre der höchste und weiteste Bau nördlich der Alpen.

Römische und etruskische Architektur.

Römische und etruskische Architektur
(Abbildung aus Meyers Konversationslexikon. Vierte Auflage)

Erläuterungen zur Abbildung:

  • Fig. 1: Quellhaus zu Tusculum (Etr.)
  • Fig. 2: Konstruktion des Rundbogens (Etr.)
  • Fig. 3: Thor zu Volterra (Etr.)
  • Fig. 4: Thor zu Perugia (Etr.)
  • Fig. 5: Die Cloaca maxima zu Rom (Etr.). Ca. 600 v. Chr.
  • Fig. 6: Etruskischer Tempel. Nach G. Sempers Rekonstkruktion.
  • Fig. 7: Grundriss des etrusk. Tempels
  • Fig. 8: Säule von der Cucumella zu Vulci (Etr.)
  • Fig. 9: Sogen. Grab der Horatier und Curiatier (Etr.)
  • Fig. 10: Etr. Grabmal zu Castell d’Asso
  • Fig. 11: Grabcippus (Seitenans. Etr.)
  • Fig. 12: Tonnengewölbe (Röm.)
  • Fig. 13: Kreuzgewölbe (Röm.)
  • Fig. 14: Grundriss des Pantheons (Röm.). 26 v. Chr.
  • Fig. 15: Aufriss des Pantheons
  • Fig. 16: Durchschnitt des Pantheons
  • Fig. 17: Tempel der Venus u. Roma zu Rom
  • Fig. 18: Grundriss des Tempels der Venus u. Roma

Von diesen vorromanischen karolingischen Bauten sind nur wenige erhalten, was nicht zugunsten von Neubauten abgerissen wurde oder verfallen ist, wurde weitergebaut und von späteren Baustilen häufig komplett überdeckt. Überlieferte Zeugnisse der karolingischen Baukunst enthalten das Kloster der Insel Reichenau und die Klöster von Fulda und Lorsch, von denen allerdings nur geringe Teile der Ursprungsbauten wie die Torhalle bzw. Königshalle des Lorscher Klosters oder keine sofort sichtbaren Reste erhalten sind.

Gegen 1010 bis 1030 erbaut wurde die Klosterkirche St. Michael in Hildesheim, die damit die erste große europäische Kunstepoche einleitete: Die Romanik.

Die Romanik ist die erste kunstgeschichtliche Epoche nach der Antike, in der die Bauten im europäischen Raum wieder eine Kunstfertigkeit erreichten, die eine eigene Bezeichnung verdient. Der eigene Stil, der an Wänden mit wuchtigen Steinmassen, Säulen mit blockartigen Kapitellen, Rundbögen und Rundbogenfenster zu erkennen ist, bildete sich in ganz Europa gleichzeitig um die Wende des 1. Jahrtausends aus.

Aus dieser Zeit sind uns viele interessante Bauwerke überliefert, in dieser Epoche wurden viele Kirchen und Klöster gegründet und zahlreiche Burgenbauten begonnen. Zeugnisse der romanischen Baukunst finden sich nun überall auf deutschem Gebiet: Die Straße der Romanik zieht sich quer durch Sachsen-Anhalt, die Wartburg thront über der Thüringer Stadt Eisenach, romanische Bauten sind die Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg, der Braunschweiger Dom und der Lübecker Dom.

Die Baukunst im Süden war aktiv wie nie zuvor, das können wir besichtigen mit dem Trierer Dom, dem Wormser Dom und dem Mainzer Dom und vor allem mit dem Dom zu Speyer. Dieses zu Stein gewordene Machtsymbol der Salier war im 11. Jahrhundert das größte Bauwerk der christlichen Welt.

Der Kaiser- und Mariendom zu Speyer ist das bedeutendste romanische Bauwerk in Deutschland, mit fast vollständiger Zerstörung der Abtei Cluny in der Französischen Revolution wurde die “Domkirche St. Maria und St. Stephan” (offizielle Bezeichnung) zur größten erhaltenen romanischen Kirche der Welt. Wunderschöne, oft farbig gefasste Bauten brachte auch die rheinische Romanik vor, wie z. B. die Kirche St. Peter zu Bacharach oder den Limburger Dom.

Tafel Baukunst VI – Römische Baukunst

Tafel Baukunst VI – Römische Baukunst
(Abbildung aus Meyers Konversationslexikon. Zweite Auflage)

Erläuterungen zur Abbildung:

  • Fig. 5. Haus des Pansa, Längendurchschnitt von A nach B (Vestibulum, Ostium, Atrium, Tablinum, Peristylium, Oecus)
  • Fig. 6. Haus des Pansa, rekonstruirte perspektivische innere Ansicht von A nach B des Grundrisses
  • Fig. 3. Aquädukt des Claudius zu Rom 52 n. Chr.
  • Fig. 8. Grabmal des Hadrian zu Rom (Rekonstruktion) 135/136 n. Chr. (Jetzt Engelsburg)
  • Fig. 9. Grundriss des Mausoleums
  • Fig. 10. Durchschnitt des Mausoleums des Hadrian (Nach Knapp) – Abzugskanal, Zentralkammer – Grabgemach, Luftzüge, Aufsteigender Korridor, Eingang mit dem Standbild des Hadrian
  • Fig. 4. Haus des Pansa zu Pompeji. Grundriss
  • Fig. 7. Triumphbogen des Konstantin zu Rom. IV. Jahrh. n. Chr.
  • Fig. 1. Amphitheater zu Nimes. Äusserer Aufriss
  • Fig. 2. Grundriss
  • A bis zur Höhe der letzten Stufe der äussersten Umschliessung
  • B bis zur Höhe der zweiten Umschliessung
  • C bis zur Höhe der ersten Umschliessung
  • D Durchschnitt an der Bodenfläche
  • Fig. 11. Saal aus den Thermen des Caracalla zu Rom 216 n. Chr.
  • Fig. 12. Peristyl vom Palast des Diokletian zu Spalato 305 n. Chr.
  • Fig. 13. Bogensturz u. Säulendekoration an der Porta aurea vom Palast des Diokletian

Viele Bauten wurden im romanischen Stil begonnen und erst in der nachfolgenden Epoche der Gotik vollendet, die in Spanien, Italien und nördlich der Alpen mit Beginn des 13. Jahrhunderts aufkam (in Frankreich tragen Bauten ab etwa 1130 gotische Züge). So wurden die Nürnberger Burg und die Wartburg im 11. Jahrhundert begonnen und später im gotischen Stil erweitert, der letzte Bauabschnitt des Bamberger Doms fällt schon in die gotische Epoche, und das Kloster Maulbronn wurde von den Zisterziensern vom 12. bis zum 15. Jahrhundert gebaut, es enthält daher viele gotische Elemente.

Wenn Sie sich für die Bauwerke um Sie herum interessieren, muss es meist nicht bei einer einfachen Besichtigung des Bauwerkes bleiben. Die Menschen, die berufen sind, diese Bauwerke zu betreuen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, lieben “ihre Bauwerke” und verwenden meist viel Phantasie darauf, sie richtig in Szene zu setzen, die sich in den verschiedensten spannenden Aktionen für Besucher niederschlägt.

Bauten in Deutschland - Die Anfänge von Antike bis Romanik

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Anamorphe Kunst – Illusionen als künstlerisches Phänomen

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Eine weit verbreitete Meinung ist, dass Kunst etwas mit Können zu tun hat. Das ist auch zutreffend, denn wer nicht in der Lage ist, die Leinwand vom Pinsel zu unterscheiden, wird in der Produktion dessen, was gemeinhin als “Kunst” gilt, wohl auf Probleme stoßen. Handwerkliches Können ist insofern gefordert, als dass eine klassische Ausbildung in Farblehre, Zeichnen, Bildaufbau und Ikonographie hilfreich ist. Aber Kunst hat viel mehr mit Sehen zu tun – denn es ist letztendlich der Rezipient, der Betrachter, der entscheidet, was Kunst ist (und der Markt, der aber in der Hand der Betrachter ist).

Sehen als physischer Akt

Sehen heißt, dass etwas mit den Augen wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmung wird in Form elektrischer Signale über die Nervenbahnen an das Gehirn weitergegeben. Dort werden die Signale in Informationen zu Helligkeit, Kontrast, Farbe und aufgrund deren Beschaffenheit in Entfernung und Größenrelationen zurückübersetzt. Das Ergebnis ist das “Bild”, das wir sehen und (dank weiterer Nervenbahnen, ganz vieler im Gedächtnis gespeicherter Informationen und einer unbewussten Denkleistung) erkennen.

Projektion eines anamorphen Bildes: 1) aufzunehmendes Objekt; 2) negative Zylinderlinse; 3) positive Zylinderlinse; 4) sphärisches Objektiv; 5) Aufzeichnungsfilm

Anamorphe Kunst - Projektion eines anamorphen Bildes

Anamorphe Kunst – Projektion eines anamorphen Bildes;
von Werneuchen, via Wikimedia Commons

Aber was ist, wenn die Informationen, die das Auge wahrnimmt, mit keiner gespeicherten Wahrnehmung übereinstimmt, wir also “nichts erkennen”? Dann handelt es sich vermutlich um ein Kunstwerk, dessen Erschaffer nicht nur handwerkliches Können mitbrachte, sondern zudem um das Schaffen von Illusionen wusste. In diesem Kontext ist die anamorphe Kunst zu sehen.

Lange Tradition

Anamorphosen sind keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, sondern gehen auf eine lange Tradition zurück. Seit 1657 bezeichnet man Bilder, die man nur aus einem bestimmten Blickwinkel erkennen kann, die einen Spiegel, ein Prisma oder ein ähnliches verzerrendes Hilfsmittel zum Erkennen benötigen, als Anamorphose. Natürlich gab es bereits vorher anamorphe Kunst, sie wurde lediglich nicht nachweislich als solche bezeichnet.

Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt Umformung. Eine anamorphische Illusion ist ein Bild, das so verzerrt wurde, dass es mit bloßem Auge nicht erkennbar ist. In italienischen Kirchen des 17. Jahrhunderts finden sich viele Darstellungen, die nur aus einem bestimmten Blickwinkel oder mithilfe eines Spiegels oder eines Prismas erkennbar sind.

Die Technik (und genau darum handelt es sich: technisches Können) wurde genutzt, um Verbotenes darzustellen. Erotische Szenen, versteckte Botschaften und Anspielungen konnten so untergebracht werden, ohne dass Repressalien zu fürchten waren. Während der Renaissance wurden anamorphe Illusionen bei Deckengemälden eingesetzt, um Unregelmäßigkeiten im Untergrund so auszugleichen, dass sich dem Betrachter ein ebenmäßiges Bild bot.

Alte Schinken?

Nein, wirklich nicht! Anamorphe Illusionen werden in der zeitgenössischen Kunst auf ganz erstaunliche Art und Weise umgesetzt. Neben mehr oder minder schlichten Anamorphosen, die (zum Teil mithilfe technischen Geräts) gezeichnet werden, arbeiten einige Künstler mit Rauminstallationen, die ganz verblüffend ausfallen. Einzelne Teile der Installation sind irgendwo im Raum angebracht, und der Betrachter sieht keinen Zusammenhang der Teile untereinander.

Das sich bietende Bild mutet wie ein Puzzle an, dessen Teile verstreut herumliegen. Steht man jedoch an der richtigen Stelle des Raums, fügen sich die einzelnen Teile zu einem erkennbaren Bild, einer Textbotschaft oder einer erkennbaren Skulptur zusammen. Wirklich interessant werden anamorphe Illusionen aber erst, wenn Künstler auf mehreren Ebenen arbeiten – wenn Textbotschaften Anspielungen enthalten, die der Betrachter entschlüsseln muss, wenn die entzerrten Installationen oder Bildwerke selbst aus einer Illusion oder einem weiteren Rätsel bestehen.

Beeindruckende Werke

In den nachfolgenden Videos können Sie sich eine Kostprobe an verblüffenden Illusionen durch anamorphe Kunst gönnen:

Wirklich beeindruckend ist auch der anamorphe Medusa von Truly Design. Das gigantische, in den Raum gemalte Porträt aus der griechischen Mythologie ist einzig und allein aus einer Perspektive wahrnehmbar. Dasselbe gilt für die Typografie von Joseph Egan. Was auf den ersten Blick wie wirre, verzerrte Malereien an Wänden und Decke erscheint, offenbart sich nur aus einer einzigen Perspektive als perfektes, typografisches Konstrukt. Weiter ist auch die anamorphe Street Art des kanadischen Künstlers Panya Clark Espinal unbedingt zu nennen, der optische Illusionen in den Straßenzügen Torontos platziert. Fotos von diesen außergewöhnlichen Werken sehen Sie bei Urban Comfort.

Zuletzt ist da noch Jonty Hurwitz alias der “Artist Scientist Archetype“, wie er sich selbst gerne nennt. Bei diesem Künstler offenbaren sich die Kunstwerke erst im Spiegelbild von Zylindern. In verschiedenen Werken variiert er das Prinzip seiner anamorphen Skulpturen, um sie entweder alleinstehend oder als Teil größerer Werke in unterschiedlichen Umgebungen zu inszenieren. Zu seinen aktuellen Arbeiten gehört etwa auch “Yogi blanker”, die – von Fotografien in Prints umgesetzt – in der Saatchi Gallery zu bekommen sind. Mehr zu seinen Werken erfahren Sie bei Art School Vets.

Kunstvolle Illusionen selber machen

Falls Sie nun wirklich auf den Geschmack gekommen sind und auch etwas künstlerisches Blut in Ihnen fließt, dann werden Sie jetzt vielleicht Lust haben, sich selbst mal an einer anamorphen Illusion auszuprobieren. Dann helfen Ihnen bestimmt diese Video Tutorials weiter:

Viel Spass beim Ausprobieren!

Anamorphe Kunst - Illusionen als künstlerisches Phänomen

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Kunst der Vor- und Frühgeschichte: Betrachtungszeitraum

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Wer sich einem Wissensgebiet nähert, will zunächst die Grundlagen wissen: Worum geht es?

Es geht um Kunst, wie auch immer die definiert wird. Kunst der Vor- und Frühgeschichte, also die Kunst, die unsere Vorfahren hinterlassen haben, bevor die eigentliche (schriftliche) Geschichtsschreibung begann.

In welchem Zeitraum hat sich dieses Wissen entwickelt (anders ausgedrückt für alle, die das Gelernte später im Rahmen einer Ausbildung brauchen: Wie viel muss ich wohl lernen)?

Wenn es um die Vor- und Frühgeschichte der Kunst geht, gibt es letztendlich nicht sehr viel “Stoff”: Die Vor- und Frühgeschichte der Kunst beginnt mit der Menschheitsgeschichte; die Menschheitsgeschichte beginnt mit der Steinzeit; die Steinzeit beginnt zu der Zeit, zu der sich die Gattung Homo durch Nutzung von Feuer und Werkzeug von den Affen abgrenzt. Die ersten Homo-Zeugnisse in Mitteleuropa sind 600.000 Jahre alt, weshalb für die Kunstwissenschaft genau diese “paar Jahre” der offizielle Betrachtungszeitraum der Ur- und Frühgeschichte der Kunst sind.

Klingt nach mächtig Materie, über die man als Kenner der Kunst-Urgeschichte informiert sein sollte … ist aber tatsächlich etwas harmloser. Konkret kann die Ur- und Frühgeschichte der Kunst nämlich erst werden, wenn ein Kunstwerk da ist. Die ältesten aus Europa bekannten Höhlenmalereien des anatomisch modernen Menschen sind gerade einmal schlappe 40.000 Jahre alt, das älteste Kunstwerk, das wir kennen, auch nur 43.000 Jahre – macht 43.000 Jahre Kunst der Vor- und Frühgeschichte in Europa.

Kunst der Vor- und Frühgeschichte; Betrachtungszeitraum

So war es auf jeden Fall bisher, so wird es auch heute noch in der Schule gelehrt; aber wohl nicht mehr lange: Februar 2018 hat ein internationales Forscherteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie aufgedeckt, dass Neandertaler in Europa schon mehr als 20.000 Jahre vor der Ankunft anatomisch moderner Menschen (die vermutlich vor rund 40.000 Jahren Europa erreichten) Höhlenkunst geschaffen haben.

Die Forscher hatten mit Hilfe der Uran-Thorium-Datierung 60 Proben von Karbonat-Krusten auf den Pigmenten der Malereien in drei spanischen Höhlen analysiert: der Cueva de La Pasiega im Nordosten, der Maltravieso-Höhle im Westen und der Höhle von Ardales im Süden. Diese frühen Gemälde sind rot und manchmal auch schwarz eingefärbt, enthalten Tiergruppen, Punkte und geometrische Zeichen, weiter wurden bei der Gestaltung positive und negative Handabdrücke und Felsritzungen eingesetzt. “Wie eine Bombe” hat die Analyse des Funds unter den Fachleuten aber aus einem anderen Grund eingeschlagen: Die modernen Methoden ergaben, dass die Malereien mindestens 64.800 Jahre alt sind.

Eine Entdeckung, die die menschliche Kunst ganz plötzlich um gut 20.000 Jahre früher beginnen lassen würde, wenn wir die Neandertaler als Menschen ansehen. Gehören die Neandertaler zu den Menschen? Im weiteren Sinne auf jeden Fall – die Homo neanderthalensis haben sich parallel zum anatomisch modernen Homo sapiens entwickelt und gehören wie er zur Gattung Homo, von der wir (Homo sapiens) inzwischen als einzige übrig sind. Wenn es um Anerkennung der Höhlenmalereien um menschliche Kunst geht, ist aber viel entscheidender, dass sich Homo neanderthalensis und Homo sapiens zwar parallel aus dem afrikanischen Homo erectus entwickelt haben, aber nicht getrennt: Homo sapiens entwickelte sich in Afrika, Homo neanderthalensis entwickelte sich in Europa, er besiedelte zeitweise große Teile von Süd-, Mittel- und Osteuropa. Und man weiß heute, dass Homo sapiens und Homo neanderthalensis teilweise über zehntausende Jahre eng nebeneinander lebten.

Auch die DNA des Neandertaler-Erbguts wurde inzwischen sequenziert und ergab Hinweise darauf, dass zwischen Neandertaler und Homo sapiens mehrfacher Genfluss stattfand – wenn sexuell noch nicht sehr gehemmte, kompatible Lebewesen so lange “Tür an Tür” leben, liegt die Annahme, dass sie sich eifrig paarten, auch nicht wirklich fern. Die Nachkommen dieser “Kontakte mit Ausländern” fragen auch nicht danach, ob diese hübschen Augen (Brüste, Penisse) zum eigenen Stamm gehören, wir Europäer tragen also alle mehr oder weniger Gene eines Neandertalers in uns. Man weiß überhaupt schon ziemlich lange Zeit, dass die Stammesgeschichte des Menschen etwas komplizierter ist, als die frühen Anthropologen annahmen – zur Out-of-Africa-Theorie gesellt sich auf jeden Fall viel “Out of Europe”, und es ist zu vermuten, dass sich noch viel mehr frühe Menschen quer durcheinander vermehrten, wo immer sie aufeinandertrafen. Rassismus und Ausländerfeindlichkeit zeigen damit als Erstes, dass die Menschen, die sich da irgendwie abgrenzen wollen, keine Ahnung von Nichts haben.

Wenn Europäer (heute: Menschen, weil auch Europäer sich über die Welt vermehrten) also mehr oder weniger Gene eines Neandertalers in uns tragen, könnten wir auch diese Höhlenmalereien in die menschliche Kunstgeschichte aufnehmen, die damit mindestens 64.800 Jahre alt wird. Vor allem die Deutschen könnten das tun, das Neandertal liegt immerhin mitten in Nordrhein-Westfalen. Man darf sich vermutlich schon darauf freuen, dass die Nachricht von dieser bahnbrechenden Entdeckung esoterisch angehauchte deutsche Kunstwissenschaftler in Ekstase versetzt: Endlich sei der Grund dafür gefunden worden, dass sich die Kunstgeschichte in Deutschland entwickelt habe …

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